Brief aus England

Brief aus England
  • Titelbild: Diamond - Pixabay.com/joherobaxpc

Diamants are Forever

„Diamonds are Forever“ ist seit langem der Werbeslogan der Firma De Beers – und welche Frau sieht nicht attraktiver aus, wenn Diamanten an ihren Ohren funkeln! De Beers ist seit langem zu 85 % im Besitz des Bergbauriesen Anglo American. Die restlichen 15 % hält die Regierung von Botswana. Nun hat Anglo beschlossen, das Unternehmen zu verkaufen. Zweifellos hat die Entwicklung der künstlichen Diamanten, die per Chemischer Gasphasenabscheidung (CVD) hergestellt werden, zu dieser Entscheidung beigetragen.

In den letzten zwei Jahren ist der Preis für Rohdiamanten um 25 % gefallen, was größtenteils auf das Wachstum der CVD-Diamanten zurückzuführen ist. Die Technologie zur Herstellung von CVD-Diamanten wird weiter verbessert, so dass die Kosten für ihre Produktion weiter sinken werden. Die USA und Deutschland werden sicherlich zu den Hauptproduzenten gehören. Da nur ein gut ausgestattetes Labor in der Lage ist, zwischen natürlichen und CVD-Diamanten zu unterscheiden, ist es wahrscheinlich, dass der Diamantenabbau langsam an Bedeutung verlieren wird. Botswana wird ein großer Verlierer sein, ebenso wie das russische Unternehmen Alrosa, der weltweit größte Produzent von Naturdiamanten. Viele Tausende von Bergleuten werden ihre Arbeit verlieren.

Kann man daraus eine Lehre ziehen? Ich denke ja. In dem Maße, wie die Welt alternative Produkte und Verfahren wie Energiequellen entwickelt, wird der Markt für ältere Produkte und Verfahren wie fossile Brennstoffe schrumpfen - und vielleicht eines Tages verschwinden. Wenn der Markt für fossile Brennstoffe schrumpft, wird der Preis „pro Einheit“ sinken, und die Erzeugerländer werden kleinere Mengen zu niedrigeren Stückpreisen verkaufen. Wir wissen, welche Länder die Verlierer sein werden – Russland, verschiedene Staaten des Nahen Ostens, Australien, Indonesien u. a. Die Führer dieser Länder können sehen, dass der Wandel kommen wird – aber können sie etwas dagegen tun?

Die Trommeln des Krieges

Galvanotechniker sind ein wichtiger Teil der verarbeitenden Industrie - wir sind keine Militärs. Aber einige von uns, in unserer Branche, sind an der Herstellung oder Reparatur von militärischer Ausrüstung beteiligt – und in diesem Sinne ist die Technologie der Kriegsführung wichtig für uns. Auch die alte Bibelstelle – Schwerter zu Pflugscharen – bleibt wahr. Zurzeit befinden wir uns in Europa Gott sei Dank nicht im Krieg. Aber die Ereignisse in der Ukraine und auch in Israel/Gaza lehren uns, wie moderne Kriegsführung aussieht. Und der wichtigste Fortschritt in der modernen Kriegsführung ist ohne Frage die Entwicklung der Drohne. Oder sollte man sagen, die Entwicklung verschiedener Arten von Drohnen. Einige tragen nur Kameras, andere tragen Sprengstoff. Einige sind „Einweg“-Drohnen, andere sind so konzipiert, dass sie zu ihrer Basis zurückkehren. Abbildung 1 zeigt einen ukrainischen Soldaten, der eine Drohne von einem Bunker aus fernsteuert.

Abb. 1: Ein Soldat steuert eine Drohne per Fernbedienung

Nach Angaben des ukrainischen Generals Pavliuk töten Drohnen mit mittlerer und kurzer Reichweite inzwischen mehr Soldaten (auf beiden Seiten) als jede andere Waffe. Soldaten versuchen sich zu verstecken – aber Militärfahrzeuge, einschließlich Panzerwagen, sind schwerer zu entdecken. Panzerwagen sind schwieriger zu verstecken, und in den letzten Monaten wurden Hunderte von russischen Militärfahrzeugen durch Drohnen zerstört. Das britische Royal United Service Institute schätzt, dass die Ukraine jeden Monat ca. 10.000 Drohnen verliert. Die ukrainische 95. Brigade verwendet (und verliert) etwa 500 Drohnen pro Monat. Aber Drohnen sind nicht teuer. Eine FPV­-Drohne (First Person View) kostet ca. 500 US-Dollar pro Stück. Dagegen kostet eine US-amerikanische GPS-gesteuerte Artilleriegranate ca. 100.000 US-Dollar. Eine amerikanische Javelin-Rakete kostet ca. 80.000 US-Dollar. Im vergangenen Dezember versprach Präsident Selenskyj, dass die Ukraine im Jahr 2024 eine Million Drohnen pro Jahr herstellen werde. Die sogenannte „Vampir“-Drohne (ein Hexacopter mit 6 Rotoren) wurde ursprünglich für Landwirte entwickelt. Heute dient sie als Mittelstreckenbomber und ist inoffiziell als „Baba Yaga“ aus der slawischen Folklore bekannt. Sowohl die Ukraine als auch Russland stellen jeden Monat Hunderttausende von Drohnen her, und die neuesten Drohnen – wie die Saker Scout oder die Autel EVO Max 4T – sind mit KI ausgestattet, was bedeutet, dass sie nicht mehr auf GPS angewiesen und weniger anfällig für elektronische Angriffe sind.

Eine weitere Waffe, die zum ersten Mal eingesetzt wird, ist die sogen.„Gleitbombe“. Dabei handelt es sich um eine konventionelle Bombe, die jedoch mit Flügeln und elektronischer Steuerung ausgestattet ist (siehe Abb. 2). Aber: Sie werden von konventionellen Flugzeugen mitgeführt und dann im Gleitflug zu ihren Zielen in bis zu 70 Kilometern Entfernung abgeworfen. So können sie sicher aus dem russischen Luftraum abgeworfen werden. Während ein Marschflugkörper bis zu einer Million Dollar kosten kann, werden die Kosten für eine Gleitbombe auf nur ca. 20.000 Dollar geschätzt. Das Konzept ist nicht neu, und eine einfachere Version wurde im Zweiten Weltkrieg eingesetzt, die SD 1400 X von Ruhrstahl oder BV246 „Hagelkorn“ von Blohm und Voss. Gleitbomben können gut eine Tonne Sprengstoff tragen – manchmal auch mehr – und sind sehr schwer abzufangen und zu zerstören.

Abb. 2: Eine neue russische Gleitbombe mit höherer Reichweite  Abb. 2: Eine neue russische Gleitbombe mit höherer Reichweite

Abgesehen von Drohnen und Gleitbomben ist die andere wichtige Entwicklung in der Militärtechnologie, die ich bereits besprochen habe, der Hochleistungslaser, der ankommende Raketen zerstören kann – und das zu sehr geringen Kosten. Der Krieg in der Ukraine und, in geringerem Maße, die Ereignisse in Gaza zeigen uns hier im Westen, was die Zukunft bringen könnte. Das gibt uns die Chance, uns auf eine mögliche Zukunft vorzubereiten. Wir sehen, dass das Führen eines Krieges in vielerlei Hinsicht eine „wirtschaftliche Schlacht“ ist. Aber tun wir genug, um uns zu schützen? Die meisten europäischen Länder geben weit weniger aus als die vom BNP angestrebten 2 %. Ich werde sie hier nicht beim Namen nennen und sie beschämen – die Daten sind im Internet leicht zugänglich. Aber wir sind gewarnt worden! Krim... Ukraine – wo wird Putin als nächstes zuschlagen?

KI – Die Schlacht geht weiter

Jede Woche lesen wir von neuen Anwendungen der KI – und viele von ihnen versprechen, unsere Lebensqualität zu verbessern. Doch einige Unternehmen fühlen sich bedroht, vor allem in der sogenannten „Kreativwirtschaft“. In den letzten Wochen hat Sony Music etwa 700 KI-Unternehmen, darunter Google, Microsoft und Meta, angeschrieben und sie beschuldigt, ihre künstlerischen Inhalte ohne ihre Zustimmung zu nutzen, und sie aufgefordert, offenzulegen, wie und wo sie dies getan haben. In wenigen Wochen wird das EU-KI-Gesetz in Kraft treten. Danach müssen KI-Unternehmen offenlegen, welches Material sie zur Erstellung ihrer „Large Language Models“ heruntergeladen und wie sie es zur Erstellung ihrer eigenen Produkte verwendet haben. Das neue Gesetz verlangt von diesen Unternehmen, dass sie das EU-Urheberrechtsgesetz einhalten. Ich glaube, dass diese ganze Frage sehr umstritten sein wird. In den meisten Fällen ist der von Künstlicher Intelligenz produzierte Text, die Musik oder die visuelle Kunst völlig neu und verstößt nicht gegen das traditionelle Urheberrecht. Manchmal kann man sehen, wie ein von der KI produziertes Produkt von früheren Werken beeinflusst wurde – aber ist das Urheberrechtsdiebstahl? Ich glaube, dass unsere Branche von all dem wenig betroffen sein wird, einschließlich unseres Verlags. Aber wir werden ständig davon lesen, und es werden „Goldene Zeiten“ für Anwälte sein.

Günstigere Solarzellen

Die Kosten für Solarzellen sind in den letzten Jahren immer weiter gesunken. Es gibt jedoch eine Entwicklung, die zu einer weiteren Preissenkung führen wird, sobald sie sich durchgesetzt hat. Das ist die Einführung des „Rolle-zu-Rolle“-Drucks von Solarzellen auf Perowskit-Basis. Neue Tintenformulierungen, die von CSIRO Manufacturing in Australien entwickelt wurden, machen dies jetzt möglich. Abscheidung der Perowskit-Lösung auf ein sich kontinuierlich bewegendes Fließband bei der richtigen Temperatur. Das Hauptproblem besteht darin, sicherzustellen, dass jede Schicht vollständig getrocknet ist, bevor die nächste Schicht darüber aufgebracht wird. Die so abgeschiedenen Solarzellen wiesen einen Wirkungsgrad von bis zu 15,5 % auf. Der Schlüssel zum Erfolg lag vor allem in der Art und Weise, wie die Lösungen auf die Oberfläche gesprüht werden und in den Trocknungsprozessen, und ob von der Seite oder von oben gesprüht wird. Eine sehr ausführliche Beschreibung der Arbeiten und der Ergebnisse ist kostenlos online verfügbar.

“The first demonstration of entirely roll-to-roll fabricated perovskite solar cell modules under ambient room conditions”, Hasitha C. Weerasinghe und 18 Mitautoren. Nature Communications 12. Bd 15, (2024), 1656. https://doi.org/10.1038/s41467-024-46016-1

Kernenergie auf dem Vormarsch

Das kalifornische Unternehmen Kairos Power Inc. hat die Genehmigung zum Bau des weltweit ersten mit geschmolzenem Salz gekühlten Spaltreaktors erhalten. Seine sogenannte Hermes-Technologie verwendet geschmolzenes Fluorid anstelle von Wasser. Das Unternehmen hat auch eine neue Art von Uranbrennstoff entwickelt und wird nun eine 100-MW-Anlage in East Tennessee bauen. Abbildung 3 zeigt das geplante Aussehen der Anlage, die im Jahr 2026 fertiggestellt werden soll.

Abb. 3: Geplantes Aussehen der Kairos-Anlage  Abb. 3: Geplantes Aussehen der Kairos-Anlage

Als Kühlmittel und Wärmetauschermedium wird eine Salzschmelze aus Lithium- und Berylliumfluoriden verwendet, die als „Flibe“ bekannt ist. Dieses geschmolzene Salz ist bei 600 °C und darüber stabil. Im Gegensatz dazu haben wassergekühlte Reaktoren, die unter Druck arbeiten, eine Höchsttemperatur von ca. 300 °C. Die höhere Temperatur führt nicht nur zu einem höheren thermischen Wirkungsgrad (2. Hauptsatz der Thermodynamik), sondern der Betrieb bei Umgebungsdruck ist auch sicherer und senkt die Baukosten. Auch der zu verwendende Brennstoff ist neu. Das sogenannte TRISO (tri-structural isotropic particle fuel) basiert auf Brennstoffpellets von etwa der Größe eines Tennisballs. Das Uran befindet sich in einer graphitbeschichteten Siliciumkarbidhülle. Dies ist sicherer als herkömmliche Brennstäbe, da sich das Uran bei einem Bruch des Pellets einfach in dem geschmolzenen Fluorid auflöst. Abbildung 4 zeigt das allgemeine Flussdiagramm.Ein Großteil dieser neuen Anlage wird in einer Fabrik gebaut und nicht vor Ort, wie es bei den meisten anderen neuen Kernkraft-Anlagen der Fall ist. Wir scheinen uns einer neuen KernKraft-Ära zu nähern.

Abb. 4: Flussdiagramm der Kairos „Hermes“ Kernkraftanlage   Abb. 4: Flussdiagramm der Kairos „Hermes“ Kernkraftanlage

Elektroautos – ein gemischtes Bild

Elektroautos sind die Zukunft – das bestreitet niemand. Aber im Moment entscheiden sich viele Käufer neuer Pkw in England und Europa weiterhin für Benzin oder Diesel. Anfang 2024 wurde ein Anteil von 24 % an den E-Auto-Verkäufen prognostiziert. Jetzt, fast in der Mitte des Jahres, liegt die prognostizierte Zahl bei 19,8 % und Stellantis hat den Preis der meisten Peugeot-, Fiat- und Citroen-Pkw um ca. 20 % gesenkt. Tesla, Honda und chinesische Elek­troautos werden ebenfalls mit großen Rabatten verkauft. Etwa 80 % der E-Auto-Verkäufe gehen an Unternehmen und nicht an private Käufer. Die britischen Hersteller haben ein besonderes Problem. Die Regierung hat gefordert, dass im Jahr 2024 22 % aller Autoverkäufe Elektroauto sein müssen – und dieser Prozentsatz wird Jahr für Jahr erhöht. Hersteller, die diese Ziele nicht erreichen, werden mit hohen Geldstrafen belegt – und es scheint unwahrscheinlich, dass sie diese Quote erreichen werden. Wird die englische Regierung zurückrudern?

Selbstfahrende E-Fahrzeuge

Die britische Regierung hat angekündigt, dass selbstfahrende Elektroautos bis 2026 auf den Straßen zugelassen werden sollen. Technisch gesehen handelt es sich dabei um die sogenannte „Level 4“-Stufe der Automatisierung, bei der nicht einmal mehr jemand auf dem Fahrersitz sitzen muss.

Und dennoch – eine kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage ergab, dass sich 38 % der Menschen in einem fahrerlosen Pkw „sehr unsicher“ fühlen würden, weitere 29 % gaben an, sie würden sich „eher unsicher“ fühlen. In den USA hat es zuletzt im Dezember 2023 Probleme gegeben. Zwei fahrerlose Taxis, die die sogenannte Waymo-Technologie nutzten, verunglückten nacheinander in Arizona, und Waymo stellte daraufhin den Betrieb ein. Im November 2023 rief Cruise (eine Tochtergesellschaft von General Motors) alle 950 seiner autonomen Pkw nach einem Unfall in San Francisco zurück. Alle Experten sind sich einig, dass fahrerlose Pkw, Lkw, Busse und Lieferwagen kommen werden. Aber wann?

Anmerkung der Redaktion: Die im „Brief aus England“ abgedruckten politischen Inhalte müssen nicht der Auffassung von Verlag und Redaktion entsprechen, sondern sind die persönliche Meinung des Verfassers.

  • Ausgabe: Juni
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Dr. Anselm T. Kuhn
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