Wie Pain Points zu Game Points werden können – 24. EE-Kolleg 2024

Wie Pain Points zu Game Points werden können – 24. EE-Kolleg 2024

Das 24. Europäische Elektroniktechnologie-Kolleg fand wieder in Colonia de Sant Jordi, Mallorca, Spanien, statt. Dort wurde aufgezeigt, wie die Elektronikbranche den neuen Herausforderungen und Zukunftstrends gerecht werden kann und wie dabei die Pain Points zu Game Points gemacht werden können.

Ulf OestermannUlf OestermannDas Programm umfasste Themen von der Integration neuer Digital Twin-Technologien über KI-Unterstützung in der Fertigung bis hin zu intelligenten Lösungen zur Fehlervermeidung. U. a. wurde auf die mechanischen Belastungen von Leiterplatten und die robuste Kommunikation eingegangen sowie Einblicke in die Herausforderungen und Chancen von New Work in der Elektronikbranche geboten. Neben den Fachvorträgen boten Diskussionsrunden sowie das Networking reichlich genutzte Möglichkeiten, sich mit den Experten und anderen Teilnehmern über Ideen, Innovationen und Best Practices auszutauschen.

Ulf Oestermann, Fraunhofer IZM, Berlin, moderierte die Veranstaltung. Bei der Eröffnung ging er kurz auf die allgemeine Situation und die Themen des Vortragsprogramms ein. Als klassisches Beispiel dafür, wie die Pain Points zu Game Points gemacht werden können, nannte er Lamborghini: Dass die Kupplung der Autos damals schlecht war, gab den Anstoß dazu, dass sich der ursprüngliche Traktorenhersteller Lamborghini zum Rennwagenhersteller entwickelt hat. Ob und wie Pain Points zu Game Points werden, hängt wesentlich auch von den sogenannten weichen Faktoren wie der Fehlerkultur im Unternehmen bis hin zur Work Life Balance ab.

Ulf Oestermann beendete die Einführung mit der Vorstellung der Partnerfirmen, die das EE-Kolleg veranstalten. Dies sind die Unternehmen:

  • ASMPT
  • ASYS Automatisierungssysteme
  • Balver Zinn Josef Jost
  • Christian Koenen
  • kolb Cleaning Technology
  • Rehm Thermal Systems
  • ZEVAC

Lötsysteme zur Optimierung der Elektronikfertigung

Dominik AlfersDominik AlfersDominik Alfers, Rösnick, stellte intelligente Vorrichtungen zur Fehlervermeidung vor und erklärte, wie Lötsysteme die Elektronikfertigung optimieren können. Rösnick entwickelt Lötrahmen zur Fixierung von Leiterplatten und Lötmasken für alle gängigen Wellen- und Selektivlötmaschinen. Diese können mit passgenauen Niederhalte- und Ausrichtsystemen für die Leiterplatte sowie für den Andruck bzw. die Ausrichtung von Bauteilen versehen werden. Die steigende Packungsdichte der Leiterplatten erfordert immer aufwendigere Lötmaskendesigns, so dass herkömmliche Verbundwerkstoffe an ihre Grenzen stoßen. Aufgrund seiner extremen Festigkeit und gleichzeitig sehr hohen Ablösefestigkeit und Unempfindlichkeit gegenüber Flussmittel und Lot ist Titan eine vorteilhafte Alternative. Titan verbessert zudem die Temperaturkopplung zur Leiterplatte. Gegen Lotbrücken, die oft aufgrund eines ungünstigen Leiterplatten-Layouts entstehen, können Titaneinsätze mit Stegen helfen. Mit Titan lassen sich Wandstärken ab 0,3mm realisieren, was für Lötmaskenstege zwischen SMD und THT-Lötstellen mit sehr geringen Abständen erforderlich ist. Die korrekte THT-Bestückung kann über ein optionales Poka-Yoke-System, eine leiterplattenspezifisch gestaltete Abdeckung mit Öffnungen in den Bauteilbereichen geprüft werden. Fehlende und falsch positionierte Bauteile sind mit der CIMI-Erweiterung (Component Insertion Mispositioning Indicator) leicht erkennbar. Die Rösnick GmbH ist auf dem Weg zu einem grünen Unternehmen und recycelt die Lötvorrichtungen.

Analysen zur Fehlervermeidung im Fertigungsprozess

Gunter Mößinger, HTV Conservation, informierte über ‚Schlechte Elektronik: Wie entdecke und vermeide ich Fehler im Fertigungsprozess?' Dazu erläuterte er die entsprechenden Angebote seiner Firma. So kann HTV wiederaufbereitete Bauteile vollumfänglich neu qualifizieren, was für deren Einsatz in kritischen Anwendungen erforderlich ist. Bauteile können hinsichtlich Fälschungen geprüft werden. Die Lötbarkeit kann mittels Benetzungswaage geprüft werden. Gegebenenfalls sind eine Neuverzinnung oder ein Reballing möglich. Mittels Ultraschallmikroskopie (SAM) können Delaminationen erkannt werden. Die Prüfung der Elektroniken gemäß den im Standard IPC-A-610 dargelegten Annahmekriterien erfolgt mit Mikroskopen. Die Leiterplatten können bewertet werden. Steckverbinder und andere Komponenten aus Kunststoff können auch hinsichtlich Ausgasungen geprüft werden. Zudem können weitere Analysen mittels Thermografie, Röntgeninspektion, CT und weiterer Methoden erfolgen, wozu Gunter Mößinger Beispiele aufzählte.

Lotpasten mit feinerem Pulver und Stickstoff gefragt

Michael MatthesMichael MatthesUta Pruß und Andreas Hänisch, Prettl electronics, referierten über ‚Entwicklungstrends, Standardtyp 3-4, 5 nur auf Anfrage? Löten mit und ohne Stickstoff'. Uta Pruß stellte zuerst das EMS-Unternehmen Prettl electronics und sein Dienstleistungsangebot vor. Produziert werden von diesem entsprechend der Marktentwicklung vermehrt Elektroniken für smarte Anwendungen. Die damit einhergehende weitere Miniaturisierung der Elektroniken bringt Herausforderungen für die Produktion mit sich, so zum Beispiel für den Lotpastendruck. Andreas Hänisch erläuterte diese. Anstelle der bisher als Standard eingesetzten Lotpasten mit Typ-3- und Typ-4-Lotpulvern werden nun Typ-5- und Typ-6-Lotpasten benötigt, um die feineren Strukturen realisieren zu können. Auch bei deren Einsatz kann es Pastendruckprobleme geben. Eine Fehlerursache sind Schwankungen der Lötstoppmaskenschichtdicke. Mit entsprechend gestalteten Druckschablonen können diese Ungleichmäßigkeiten der Topografie ausgeglichen werden. Was Löten unter Stickstoff an Vorteilen bringt, wurde ebenfalls erläutert.

Kommunikation zwischen den Partnern ist entscheidend

Über mechanische Lasten durch schwere Komponenten auf und in Leiterplatten sowie weitere Pain Points bzw. Arten von Schmerzpunkten informierte Michael Matthes, Würth Elektronik. Es gibt allerdings Tools und Möglichkeiten, die auch hier Lösungen bieten. Abhängig von den Anforderungen an das Produkt erfolgt das Leiterplattendesign und der -aufbau mit Coins, Inlays etc., wofür Beispiele gezeigt wurden. Der gesamte Leiterplattenprozess vom Design über den Aufbau und die Strukturierung bis hin zur Digitalen Lötstoppmaske und dem Embedding von Komponenten wird von Würth Elektronik angeboten und unterstützt. Ebenso die Bestückung und der Test und zwar sowohl das elektrische Testen in der Produktion als auch Qualifikationstests. Für den Erfolg entscheidend ist bei allem die Kommunikation zwischen den Partnern. Eine intensive Kommunikation ist die Grundlage des Matchgewinns durch Game Points.

Bei der Kommunikation ist Verstanden- werden wichtig

Was wir von der Stand-up-Comedy lernen können: Heino Trusmann, ein Coach mit langjähriger Erfahrung in diesem Metier, demonstrierte bei seinem Auftritt mit Einbeziehung von Teilnehmern, was robuste Kommunikation ist und wie diese funktioniert. Man selbst sein, d. h. authentisch sein, ist die Basis für eine gute Kommunikation. Und richtig verstanden zu werden, ist das Wichtigste.

Materialtransport mit Roboter lohnt sich

Jonas Ruckstuhl, Record Group, Fehraltorf, Schweiz, berichtete über eine Analyse der Materiallogistik in der Produktion: Kosteneffizienz durch automatisierte Lager und Robotiklösungen. Die Record Group, die zur ASSA ABLOY-Gruppe gehört, ist ein Hersteller von automatischen Türsystemen mit weltweiten Standorten. Die Prozesse rund um den eigentlichen, bereits hochautomatisierten Produktionsprozess gewinnen immer mehr an Bedeutung, insbesondere um in der Gruppe auch Produkte in die Schweiz zu transferieren, was bereits erfolgreich realisiert wurde. Eine Analyse der zum Materialtransport zwischen Lager und Produktion zurückgelegten Wegstrecken und deren Häufigkeiten ergab, dass dafür ein Aufwand von 600 Arbeitsstunden pro Jahr geleistet werden muss. Dies macht den Einsatz eines Roboters lohnend. Denn mit diesem können praktisch alle Transporte sofort erledigt werden und nichts bleibt längere Zeit liegen, so dass die Arbeitszeit in der Produktion besser genutzt werden kann. Jonas Ruckstuhl erläuterte, wie dies umgesetzt wurde bzw. wird. Er ging dabei u. a. auf die IT und Fahrwege des Roboters sowie das Be- und Entladen ein.

Heino Trusmann in Aktion mit TeilnehmerHeino Trusmann in Aktion mit Teilnehmer

Thomas MuecklThomas Mueckl

Jonas RuckstuhlJonas Ruckstuhl

Mit Digital Twins frühzeitig sehen, wie Geplantes funktioniert

Ein digitaler Zwilling ist ein Datensatz, der ein Objekt möglichst vollständig beschreibt. Um einen Produktionsbetrieb zu beschreiben, sind mehrere digitale Zwillinge für die Produkte und die Produktionsprozesse erforderlich. Welche Vorteile die Anwendung von Digital Twins in der Fertigung bietet, zeigte Thomas Mueckl, Zollner Elektronik, anhand von Anwendungsbeispielen von der Komponente bis zum System auf. So unterstützt der digitale Zwilling das DfX (Design for Manufacturing, Design for Test, Design for Assembly usw.), indem z. B. mögliche Kollisionen bei der Montage und unzureichende Kontaktiermöglichkeiten für den Test schon beim Design und vor der physikalischen Realisierung entdeckt werden. Digitale Zwillinge können zur Planung von Arbeitsplätzen, Produktionslinien und der Materialbereitstellung sowie zum Fabriklayout bzw. zur Werksplanung eingesetzt werden. Mit digitalen Zwillingen wird so eine robuste Prozessautomatisierung (RPA) ermöglicht. Basierend auf dieser Datenlandschaft der digitalen Zwillinge sind virtuelle Videos generierbar, so dass man mittels Augmented Reality-Brille schon durch das geplante Werk gehen kann und dort die geplante Produktrealisierung mit den geplanten Maschinen betrachten kann. Mock-ups sind dazu nicht mehr erforderlich.

Generative AI steigert Mitarbeitereffizienz

Fabian Pelzl, Knowron, informierte über Generative AI und verdeutlichte an Beispielen aus der Produktion und dem Service, wie diese beim Arbeiten unterstützen kann. Aufgrund des allgemeinen Fachkäftemangels wächst die Herausforderung bei vielen Anwendungen, aus der Unmenge vorhandener Daten durch Strukturierung die passende Lösung abzuleiten. Knowron hat ein NLP-gestütztes Tool entwickelt, das mobile Mitarbeiter als persönlicher Assistent bei ihren täglichen Aufgaben unterstützt. Organisatorisches und technisches Wissen wird dank diesem AI-Tool allgegenwärtig, d. h. überall, in jeder Sprache und rund um die Uhr verfügbar. Am Beispiel Servicetechniker wurde aufgezeigt, dass die AI-Unterstützung auch das Generieren des Service Reports umfasst. AI-unterstützte Mitarbeiter werden so effizienter als andere.

Verbesserte Röntgeninspektion und CT durch KI

Über ‚Improved Quality Assurance for Electronics Manufacturing with X-Rays and AI' referierte Thorsten Wiege, maxerial AG. Dabei erläuterte er zuerst, wie die Computertomographie (CT) generell funktioniert und was diese leisten kann. Für eine CT-Aufnahme mit sehr hoher Auflösung im Bereich weniger Mikrometer werden etwa 40min benötigt. Für die anschließende Analyse hat maxerial die Software Falknis X-ray Inspect entwickelt. Sie arbeitet mit regel- und AI-basierten Methoden, um Fehler von Lötverbindungen und Hohlräume (Voids) bei Elektronikteilen schnell und genau zu ermitteln. Am Beispiel hochauflösender CT-Aufnahmen von SMT-Rollen, die Steckverbinder enthielten, wurde die Leistungsfähigkeit der Software bei der Bilderkennung, Datenauswertung und geometrischen Interpretation verdeutlicht. Die AI wird dabei u. a. zur Rauschunterdrückung eingesetzt. AI dient auch zur BGA-Bewertung. Die Weiterentwicklung geht hin zur One-Click-AI.

Dank neuer Pasten sind Produkte für neue Anwendungen realisierbar

Mario KohlMario KohlWas Functional Printing ist und leisten kann, stellte Mario Kohl, Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM, anhand von Beispielen vor. Dabei ging er u. a. auf neu entwickelte Pasten, gedruckte Sensoriken (DMS usw.), hybride Elektroniken und gedruckte Batterien ein. Die Pasten werden dafür im Siebdruck appliziert und müssen nach der Applizierung thermisch nachbehandelt werden, um die gewünschten Endeigenschaften zu erreichen.

New Work einfach mal probieren

In der ‚Abschluss-Keynote' ging Alia Smektala, MTM Ruhrzinn, auf Generationenunterschiede, Fachkräftemangel und das gefürchtete Home-Office ein und gab dabei Einblicke und Anregungen zu New Work. Die sogenannten Generationenunterschiede beruhen v. a. auf Vorurteilen und sind dementsprechend kritisch zu bewerten. Fakt dagegen ist der Fachkräftemangel, denn bereits heute ist jede vierte Stelle unbesetzt und bis 2030 wird es voraussichtlich jede dritte sein. Was der Generation Z wichtig ist bzw. worin der größte Unterschied zu früheren Generationen besteht, lässt sich folgendermaßen ausdrücken: „Everything Everywhere All at Once“. Dazu gehört auch zumindest zeitweise Remote-Arbeiten (Home-Office). Eine Mehrheit würde dafür sogar den Arbeitgeber wechseln. Aber New Work ist weit mehr als das und es gibt dafür keinen Standard. Alia Smektala empfahl deshalb abschließend sich zu fragen: “Wieso nicht einfach mal probieren?”

Das EE-Kolleg wurde mit einer kurzen Diskussion beendet. Diese und die Networking-Gespräche zeigten, dass Neues sowie ein intensiver Austausch darüber immer gefragt sind, insbesondere um Pain Points zu Game Points zu machen. Das 25. Europäische Elektroniktechnologie-Kolleg, das vom 2. bis 6. April 2025 wieder in Colonia de Sant Jordi geplant ist, wird wieder reichlich Möglichkeiten zur Information und zum Austausch bieten.

  • Titelbild: Sonnenuntergang in Colonia de Sant Jordi
  • Ausgabe: Juli
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Gustl Keller
  • Link: https://www.ee-kolleg.com/
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