EMS-Special 2024: Mit offenem Visier in herausfordernden Zeiten

EMS-Special 2024: Mit offenem Visier in herausfordernden Zeiten

Sinan Saglar, elkotecSinan Saglar, elkotec

Auch in diesem Jahr schauen wir in unserem Special der EMS-Branche über die Schulter: Wie läuft es in der Fertigung? Und wo drückt zur Zeit der Schuh? Dass die wirtschaftliche Lage nicht allzu rosig aussieht, ist nicht die einzige Sorge, die EMS-Dienstleister umtreibt. Nach wie vor stellen Bauteilverknappung, neue Regularien und der sich zuspitzende Fachkräftemangel sie vor gewaltige Herausforderungen.

Ist die schwierige Phase überwunden?

Laut ‚Statista' befindet sich Deutschland 2024 in einer schwierigen konjunkturellen Lage und ist im vergangenen Jahr in eine Rezession gerutscht.[1] Die Prognosen verheißen eher eine Stagnation als einen Aufschwung. Das spürt auch die EMS-Industrie: Dieter G. Weiss (‚in4ma') schrieb zuletzt in der PLUS von einem „Tal der Tränen“, das Dienstleister aufgrund der mauen Auftragslage durchschreiten.[2] Das nun verkündete Ende der SMTconnect ist hierbei ein Menetekel, das zur allgemein ‚durchwachsenen' Stimmung passt. (S. 809)

Nicht ganz einstimmen in das Klagelied will Sinan Saglar, Geschäftsführer des EMS-Unternehmens elkotec in Berlin-Wedding sowie des Schwesterunternehmens endtest, das für Qualitätsprüfungen mittels Flying Probe (ICT) von elektronischen Baugruppen an gleicher Adresse gegründet wurde. Auf Nachfrage schildert Saglar, dass elkotec zur Zeit gut ausgelastet sei – nach einer schwierigen Phase im letzten Jahr, die ihm (wie so vielen anderen in der Branche) Kopfzerbrechen bereitet habe. Inzwischen habe sich aber die Auftragslage gefangen, man habe viel zu tun, ohne sich aber „totzuarbeiten“.

Sinan Saglar ist ein offenherziger Gesprächspartner, der weder ein Blatt vor den Mund nimmt noch ein Freund der Schwarzmalerei ist. Bezüglich der Auftragslage erinnert er an die schon halb verdrängten Coronajahre, in denen elkotec als eine der wenigen Firmen überhaupt gearbeitet habe und dabei fast an seine Grenzen gestoßen sei: „Wir mussten liefern, liefern, liefern und haben das gut überstanden.“ Seit zwei Jahren werde die Firma durch die Materialproblematik limitiert. Lieferengpässe seien ein anhaltendes Thema, wie wohl jeder EMS-Dienstleister bestätigen kann: „Bauelemente, Halbleiter – es gibt immer noch eine Verknappung. Ein gewöhnlicher Lastwiderstand, den wir früher an jeder Ecke bei Conrad kaufen konnte, hat eine Lieferzeit von vier Wochen. Noch immer!“

Fünf Bestücker als Stand Alone und Serie, Losgrößen zwischen 10 und 5.000Fünf Bestücker als Stand Alone und Serie, Losgrößen zwischen 10 und 5.000

EMS-Unternehmen fragen nach den tieferen Gründen

So ganz neu sei das aber nun auch wieder nicht: Saglar fühlt sich an eine Situation 2004/2005 erinnert, als in China ein Hersteller abgebrannt sei, der das Gehäusematerial für Schaltkreise geliefert habe. Damals habe China jede Menge Bauteile auf Lager gehabt, deren Preise sich dann durch Wegfall des Komponentenherstellers „richtig nach oben bewegt hätten“. Sehr ähnlich fühle sich die aktuelle Lage an – und da komme man als EMS-Dienstleister schon ins Grübeln, was denn die Ursache sei. Es gebe nun mal „systemrelevante Bauteile“, die eine Leiterplatte überhaupt erst zum Leben erwecken. Das kann oft ein einfacher, aber essenzieller Widerstand sein: „Wenn der nicht da ist, geht gar nichts.“ Als einprägsames Beispiel nennt Saglar den USB-Schnittstellentreiber FT232RL, an dem man die Auswirkungen einer Verknappung erkennen könne. Einst habe man das Bauteil für 99 ct bekommen, heute bezahle man dafür 5-6 €. Bei solchen Preisen sei es kaum verwunderlich, dass Klone oder gar Fake-Bauteile im Umlauf sind. Die seien laut Saglar „manchmal teurer als das Original“, funktionieren aber oft nicht. Das führe zu Nacharbeit, erhöhtem Aufwand und enormem Ärger. Und für den Endkunden zwangsgedrungen zu einer Preissteigerung. Selbst bei seriösen Anbietern sei Saglar inzwischen ‚gebranntes Kind': „Ich bin enorm vorsichtig geworden. Würde bei einem meiner Großkunden ein Problem auftauchen, käme es eine Kettenreaktion. Das möchten wir weder uns noch unseren Kunden zumuten.“ elkotec binde deshalb den Kunden offen in die Entscheidung ein, ob dieser lieber eine längere Wartezeit in Kauf nehmen oder eine alternative Quelle riskieren wolle. Bei Baugruppen, deren kompletter Materialwert mitunter fast 1.000 € betrage, sei dies einfach zu heikel: „Das kann und will ich nicht auf meine Kappe nehmen.“

Bild:Adobe Stock

Distributoren hüllen sich in Schweigen

Auf die Frage, ob elkotec sich über diese Lage auch mit den Bauteildistributoren austausche, lässt Sinan Saglar schmunzeln. „Wenn man dort nach Gründen für die langen Wartezeiten fragt, kriegt man keine Antwort. Nehmen wir Arrow als Beispiel. Ich rufe dort an und brauche ganz bestimmte Bauteile. Man sagt mir, ich soll sie bei Arrow USA bestellen, dort liegen sie auf Lager. Das habe ich getan – und muss warten, warten, warten. Ich habe oft nicht mal die Benachrichtigung bekommen, dass eine Bestellung annulliert wurde.“

Sinan Saglar ist einer der wenigen EMS-Dienstleister, der so offen über diese Realität der Bauteilverknappung spricht. Seine Aussagen werden aber von weiteren EMS-Unternehmen bestätigt (eines aus dem süddeutschen, eines aus dem ostdeutschen Raum), die namentlich jedoch nicht genannt werden möchten. Auch sie müssen oft auf Broker zurückgreifen, die zwar versuchen, bestmögliche Transparenz zu bieten, bei denen aber das Risiko von Fake-Bauteilen erhöht ist. Dies hat schon zu teuren Nacharbeiten und erhöhtem Prüfaufwand geführt, um Qualitätseinbußen beim Endkunden zu vermeiden. Die Lieferung von etablierten Distributoren sei hingegen mit hohen Wartezeiten von oft zweistelliger Wochenzahl verbunden – und selbst die verlängern sich aus unbekannten Gründen. Der Frust der EMS-Anbieter ist entsprechend hoch. Auch hier fällt der Name Arrow Electronics, wohl aus dem Grund, weil dies ein so wichtiger globaler Distributor ist. Wir haben bei Arrow nachgefragt, und nach kurzem Zögern erklärte sich das Unternehmen bereit, unsere Fragen zu beantworten (siehe Kasten).

Bild: AdobeStock

Kommentar Arrow Electronics

Einige EMS-Dienstleister bemängeln, dass sie manche Bauteile bei Arrow USA bestellen, diese dort als ‚auf Lager' angegeben werden, dann aber doch nicht geliefert werden (plötzliche Message: ‚order cancelled'). Sind diese Probleme bekannt, handelt es sich um Einzelfälle, oder warum bemängeln einzelne Ihrer Kunden eine gelegentlich schleppende oder unklare Kommunikation?

Als Distributor mit globaler Präsenz können wir auch auf Lagerbestände von Arrow in anderen Regionen außerhalb Europas zugreifen, falls bestimmte Produkte in Europa über unser Warenlager in Venlo nicht verfügbar sind, von wo aus wir ganz Europa beliefern. In bestimmten Fällen kann dies vorkommen, insbesondere bei Komponenten mit hoher Nachfrage. Wir empfehlen, sich an die Vertriebsmitarbeiter von Arrow zu wenden, die möglicherweise Alternativen für schwer erhältliche Produkte finden.

EMS-Dienstleister weichen aus Lieferzeit- oder Kostengründen auf teils selbst organisierte Bauteilzweitmärkte oder sogar auf ‚semiseriöse' Quellen aus, was aber das Risiko von Fakebauteilen erhöht und weitere Kosten verursachen kann. Wie beurteilt Arrow diese Situation?

Wir empfehlen immer, Quellen, die nicht autorisiert sind, zu vermeiden und Komponenten nur von Franchise- und zertifizierten Distributoren oder aus entsprechenden Quellen zu kaufen. Wir verfügen über ein Supply-Assurance-Programm, das den Risiken, dass gefälschte Bauteile in die Lieferkette gelangen, entgegenwirkt. Darüber hinaus möchte ich SiliconExpert hervorheben, eine leistungsstarke Plattform, die die Risikokategorisierung auf Komponentenebene unterstützt, etwa um Risiken zu verwalten, neue Designs zu vermeiden und Obsoleszenz zu verringern.[3]

 

EMS sucht eigene Lösungen

Ronny Kirschner, Kirron EMSRonny Kirschner, Kirron EMSFairerweise muss man hinzufügen, dass Lieferkettenprobleme und dadurch ausgelöste Verknappung nicht nur bei Arrow, sondern wohl bei allen Distributoren auftreten – und dass sie kaum zu vermeiden sind: Globale Disruptionen wirken sich eben überall aus. Währenddessen versuchen EMS-Anbieter ihre Situation – soweit möglich – in die eigenen Hände zu nehmen.

Ein Beispiel ist das Unternehmen Kirron EMS in Korntal-Münchingen, Baden-Württemberg. Geschäftsführer Ronny Kirschner kennt die Problematik der Bauteilverknappung nur zu gut und hat früh darauf reagiert: „Zu Beginn der Krise haben wir mehrere Anbieter von Branchensoftware kontaktiert und begannen mit der Programmierung einer eigenen Softwareanwendung für die Recherche nach Bauteilen und Lagerorten und von vielen Produktkompatibilitäten. Die Software kann erweitert werden, um neusten Ansprüchen gerecht zu werden.“ Das Ergebnis will Kirron mit anderen aus der Branche teilen: „Kleineren EMS, die sich solche Lösungen nicht leisten können, aber anbieten wollen, bieten wir auf sie zugeschnittene bezahlbare Lösungen über unser System an.“

Pferdefuß Fachkräftemangel

Dennoch wünschen sich EMS-Dienstleister, wenigstens mehr über die Ursachen der anhaltenden Lieferkettenschwierigkeiten zu erfahren. Denn da sie diese nicht kennen, müssen sie rätseln. Sinan Saglar, elkotec, äußert einen Verdacht: „Bauteilhersteller beliefern eben lieber gewisse Broker als Großhändler, um eine bessere Marge zu erzielen – 20.000 Schaltkreise zum doppelten Preis, das lohnt sich. Da geht es um Profitmaximierung.“ Außerdem hält es Saglar für denkbar, dass es „vielleicht an der Manpower scheitert, am fehlenden guten Personal.“ Denn auch Bauteilhersteller und Distributoren sind bekanntermaßen vom Fachkräftemangel betroffen – in der Verwaltung, Logistik und in den Lagern, ob in Europa oder in den USA. Wie geht elkotec selbst mit dem heiklen Thema um? Laut Sinan Sagler arbeiten in der Firma „22 hochmotivierte, hocheffiziente Leute, darunter langjährige Mitarbeiter.“ Aber auch elkotec sucht – wie wohl alle Unternehmen – händeringend Nachwuchs … findet aber keinen. Natürlich nehme elkotec auch Vermittlungsangebote wahr, stehe jedoch gerade bei der Integration neuer Mitarbeiter vor Herausforderungen: „Viele wollen umschulen, um sich gute Arbeitsplätze zu sichern. Größtes Problem ist dabei oft die Sprachbarriere – aber auch die Qualitätansprüche anderer Länder decken sich nicht immer mit unserem Standard. Da muss das Qualitätsbewusstsein neuer Mitarbeiter – und zukünftiger – geschärft werden.“ Das gehe aber nun mal nicht von heute auf morgen. Übergangsweise behelfe sich elkotec damit, bestehende Mitarbeiter zu Mehrarbeit zu bewegen, damit der Bedarf abgedeckt werden kann.

Auch die Firma Kirron kennt das Problem. Ronny Kirschner berichtet von seinem zielgerichteten Umgang mit dem Fachkräftemangel: „Zurzeit erarbeiten wir mit einem Personaldienstleister ein erstes Trainee-Programm. Ziel ist es, über dieses Programm gemeinsam mit dem Personaldienstleister und der Agentur für Arbeit geeignete Personen auszufiltern und weiterzubilden. Gleichzeitig möchten wir weitere interessierte Dienstleister miteinbinden, um ein wirksames Instrument gegen den regionalen Fachkräftemangel zu besitzen.“

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Referenzen

[1] https://de.statista.com/themen/4862/konjunktur-in-deutschland/ #editorsPicks (Abruf: 2. Juni 2004).
[2] PLUS 5/2024, S. 574ff.
[3] Statement Arrow Electronics vom 2. Juli 2024 auf Anfrag der PLUS-Redaktion.

www.elkotec.de, https://endtest.de/, www.arrow.de, www.siliconexpert.com, www.kirron.com

  • Ausgabe: Juli
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Markolf Hoffmann
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