Im Gegenteil - Man sieht nur die im Lichte

Im Gegenteil - Man sieht nur die  im Lichte

"Und die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ So kann man es in der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht hören oder lesen, und was im Theater als Hinweis auf soziale Missstände und die ungerechte Verteilung von Wohlstand gemeint war, kann auch auf die Geschichte der Wissenschaft übertragen werden, wie der britische Historiker James Poskett in seinem Buch über „die globale Geschichte der Wissenschaft“ herausgearbeitet hat, der er den Titel „Horizonte“ gegeben hat.

Zwar bestreitet niemand, dass „Die Geburt der modernen Wissenschaft in Europa“ zu verorten ist, wie Gelehrte geschrieben haben – und zwar zu Beginn des 17. Jahrhunderts –, und jeder Interessierte wird wissen, dass Kopernikus Pole, Newton Engländer, Kepler Deutscher, Descartes Franzose, Huygens Holländer und Galilei Italiener war, um ein paar Namen aufzuführen. Aber damit kann man die ganze Geschichte der Wissenschaft eben nicht erzählen, wie in den letzten Jahrzehnten bei historischen Forschungen immer klarer geworden ist, mit der viele Helden im Dunkel der Entwicklungen aufgespürt werden konnten. Die Europäer waren nicht allein unterwegs. Sie haben im Gegenteil sehr viel von außereuropäischen Fortschritten und Einsichten profitiert.

Als zum Beispiel Kopernikus 1543 seine berühmten Revolutionen der Himmelskörper in Buchform vorlegte und die Sonne an Stelle der Erde ins Zentrum der damals bekannten Welt setzte, da zitierte er fünf muslimische Gelehrte, um seine Argumente zu stützen. Unter anderem griff Kopernikus auf Arbeiten des syrischen Mathematikers Thabit ibn Qurra und des persischen Astronomen Nasir al-Din al-Tusi zurück, von dem sich Kopernikus sogar ein Diagramm borgte. Als im späten 17. Jahrhundert Newton seine Überlegungen zur Schwerkraft entwickelte, griff er auf Beobachtungen zurück, die in Asien, Afrika und Amerika gemacht worden waren.

Es gibt viele Forscherinnen und Forscher im Dunkel der globalen Geschichte – mexikanische Genetiker, indische Chemiker, Biologen aus Ghana –, und vielleicht sollte man alles daransetzen, die Helden im Hintergrund bekannter zu machen, um auf diese Weise weltweit mehr Interesse an der Wissenschaft zu wecken und allen Menschen Mut zu machen, dazu beizutragen. Sie tun es doch schon die ganze Zeit. Für eine lebenswerte Zukunft der Welt braucht die Erdbevölkerung alle Wissenschaft, die sich generieren lässt. Ihr Licht muss auch die erreichen, die bislang im Dunkel geblieben sind. So sieht man besser.

  • Ausgabe: August
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Ernst Peter Fischer
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