Im Gegenteil! - Voll am Thema vorbei

Im Gegenteil! - Voll am Thema vorbei

 

Seit ein paar Monaten jagen die Medien die riesengroße Sau durch das Dorf, die für viele Menschen unter den Stichworten „Künstliche Intelligenz“ (KI) oder sogar „General Artificial Intelligence“ entweder Anlass zu den schönsten Hoffnungen gibt – man redet von medi­zinischen Diagnosen besonderer Qualität oder von der Anfertigung von Texten, die sonst zu viel Zeit in Anspruch nehmen –, oder umgekehrt größte Sorgen anspricht, die von der Übernahme der Demokratie durch Maschinen bis zur unkontrollierten Produktion von Fake News reichen.

Die Frage, ob ein Computer mit Nullen und Einsen denken und sich zu einem geistigen Subjekt entwickeln kann, wird nirgendwo verständlich erörtert, obwohl jeder weiß, wie die Antwort lautet, nämlich Nein! Dazu müsste man Geistestätigkeiten analysieren, aber die massenhaft in dem Medien palavernden Experten sprechen lieber über Maschinenprogram­me und Datenspeicher. Übrigens – ein Freund von mir sagte einst, wir brauchen keine Postmoderne, sondern eine moderne Post. Und wenn man diese Wortspiel fortsetzt, kann man sagen: Wir brauchen keine künstliche Intelligenz, wir brauchen eine intelligente Kunst, was den Maschinen jetzt dadurch zugewiesen wird, dass man ihnen Kreativität zuspricht. Damit meint man Artefakte, die als „neu, überraschend und wertvoll“ angesehen werden. Zwar ist wie bei allen neuen Technologien in irgendwelchen Lagern Angst zu spüren, dass Berufe oder Menschen überflüssig werden, aber vor Sprachgeneratoren wie ChatGPT sollten sich schon einige fürchten. Ich meine das wie folgt: Früher haben die Menschen Angst gehabt, dass die Maschinen besser werden als sie oder zumindest gleichwertig und sie dadurch verdrängen. Heute lernt man bei der Durchsicht vieler gleichklingender Texte, dass die Menschen so geworden sind wie die Maschinen, denen es nun ein Leichtes ist, ihre Aufgaben zu übernehmen. ChatGPT verfasst elegantere Bewerbungsschreiben, liefert zuverlässig Berichte über Fußballspiele – man muss nur die Gegner nennen und das Ergebnis angeben –, schreibt fehlerfreie Arztberichte und jede Romanrezension, die man der Software aufträgt. Viele Aufgaben, in denen Menschen ihren Lebenssinn gesehen haben, werden von den Maschinen besser erledigt, die sich inzwischen daran machen, wissenschaftliche Entdeckungen zu machen. Die Menschen bekommen unvorstellbar viel Freiheit. Nur was fangen sie damit an? Hoffentlich wenden sie sich nicht an die KI. Die hat noch nie ein Bier probiert und weiß nicht, wie es schmeckt.

 

  • Ausgabe: Januar
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Ernst Peter Fischer
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