Kommt die Renaissance der europäischen Solarindustrie?

Kommt die Renaissance der europäischen Solarindustrie?

Sollte Europa erneut eine eigene Solarindustrie aufbauen und sich damit in diesem Sektor aus der Abhängigkeit Chinas befreien? Industrievertreter und Wissenschaftler forderten diesen Schritt kürzlich. Dr. Martin Metzner, DGO-Chef und Galvanotechnik-Abteilungsleiter beim Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) hat vor über einem Jahrzehnt Photovoltaik-Prozesstechnik an seinem Institut entwickelt. Kann ein neuerlicher Anlauf gelingen? Und welche Perspektiven bietet er der Branche? Die Galvanotechnik fragte nach.

Die Lage im Photovoltaik-Bereich ist erdrückend: Die meisten Komponenten und Produkte innerhalb der Photovoltaik (PV)-Lieferkette werden derzeit in China hergestellt. Das Land verfügt beispielsweise über 96 % der weltweiten Produktionskapazität für Silicium-Wafer, der Basis für Solarzellen. Um die großen Abhängigkeiten im PV-Energiesektor zu verringern, fordert eine Gruppe von Interessenvertretern der PV-Industrie die Politik jetzt dazu auf, dringend Maßnahmen für faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen in der vorgelagerten Wertschöpfungskette der PV-Industrie zu ergreifen. Nur so könne man über die gesamte PV-Wertschöpfungskette hinweg Resilienz aufbauen.

Aktuelle PV-Produktionskapazitäten in Europa (Grafik: Fraunhofer ISE/Jochen Rentsch)Aktuelle PV-Produktionskapazitäten in Europa (Grafik: Fraunhofer ISE/Jochen Rentsch)

Allianz zum Ausbau der Wertschöpfungskette

Agriphotovoltaik, also Solarzellen über Agrarland,  sind in letzter Zeit in aller Munde. Doppelte Erträge aus  Ernte und Solarenergie winkenAgriphotovoltaik, also Solarzellen über Agrarland, sind in letzter Zeit in aller Munde. Doppelte Erträge aus Ernte und Solarenergie winkenSpeziell die vorgelagerte Wertschöpfungskette ist wegen der hohen Investitions- und Operationskosten von Fertigungsstätten für Poly-Silicium, Silicium-Kirstallen und Silicium-Wafern stark unterentwickelt. Vertreter der europäischen Photovoltaik-Industrie sind deshalb vor einiger Zeit zusammengetroffen, um Mittel und Wege für den rechtzeitigen Aufbau einer europäischen PV-Wertschöpfungskette und den Schutz der bestehenden Kapazitäten zu diskutieren. Zu den Akteuren gehörten der Polysiliciumhersteller Wacker, der Solarzellen- und Modulhersteller Meyer Burger, die Siliciumingot- und Waferhersteller NorSun und Norwegian Crystals, der Anlagenhersteller für Siliciumingots und Solarzellen ECM Group sowie die Forschungsinstitute Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und Fraunhofer-Center für Silicium-Photovoltaik CSP.

Kritische Materialien in der vorgelagerten PV-Wertschöpfungskette sind Silicium, Ingots und Silicium-Wafer, als Voraussetzung für die Herstellung von Solarzellen, Photovoltaik-Modulen und letztlich von Photovoltaik-Kraftwerken. Die Abhängigkeit von PV-Produkten aus einem einzigen Land gefährdet nach Einschätzung der Industrievertreter den Einsatz von Solarenergie in Europa im Falle möglicher Lieferunterbrechungen. In einer gemeinsamen Erklärung rufen die Interessenvertreter zu sofortigen Maßnahmen auf, die den Aufbau einer lokalen, nachhaltigen Wertschöpfungskette für die Solarindustrie ermöglichen.

Ihrer Meinung nach könnten wirksame Maßnahmen Subventionen für Investitionen in Produktionskapazitäten, die Förderung der Herstellung von PV-Produkten, ein garantierter und wettbewerbsfähiger Strompreis und Vergünstigungen für niedrige CO2-Emissionen bei der Herstellung von Produkten sein. Das übergeordnete Ziel sei es, faire Bedingungen für die Industrie zu schaffen und so für einen fairen Wettbewerb zu sorgen.

Schwierige Bedingungen für Produktionsausbau

Doch ist der Aufbau einer europäischen Solarindustrie überhaupt realistisch? Mit gemischten Gefühlen sieht das Martin Metzner. „Man muss ja schauen, warum es so gekommen ist mit der Abhängigkeit von China“, blickt er zurück. China habe seine Solarindustrie massiv gefördert hat und ihr so einen Wettbewerbsvorteil verschafft. „Dabei wurde nichts wirklich Neues entwickelt. China produziert vorhandene Technologien billigstmöglich mit dem größtmöglichen Durchsatz – inzwischen mit einem Marktvorsprung von 10 Jahren“, resümiert er.

3D-Konfokalmikroskopbild der Kupferleiterbahn einer Solarzelle,  die mit dem lasergestützten Verfahren von PV2+ hergestellt wurde. Forschern des Fraunhofer ISE ist es kürzlich gelungen, Silber bei der Galvanisierung von Solarzellen-Leiterplatten durch Kupfer zu ersetzen. Kupfer ist leichter erhältlich und günstiger 3D-Konfokalmikroskopbild der Kupferleiterbahn einer Solarzelle, die mit dem lasergestützten Verfahren von PV2+ hergestellt wurde. Forschern des Fraunhofer ISE ist es kürzlich gelungen, Silber bei der Galvanisierung von Solarzellen-Leiterplatten durch Kupfer zu ersetzen. Kupfer ist leichter erhältlich und günstiger

Metzner war damals in der Forschung und Entwicklung von Photovoltaik-Modulen beim Fraunhofer IPA tätig. „Wir hatten eine Rolle-zu-Rolle-Anlage hier im Institut“, erinnert er sich. „Die Idee war, vorne ein Band aufzuspannen, es durch eine normale Rolle-zu-Rolle Galvanik durchlaufen zu lassen, wie es in Bandgalvaniken üblich ist, und schließlich mit einer Wärmebehandlung funktionsfähige Halbleiterkristalle zu gewinnen. Die einzelnen Prozessschritte beherrschten wir bereits, wir haben sie nur nicht verknüpfen können, weil uns dafür die Fördergelder fehlten.“ Es habe nicht mehr viel gefehlt, um den Prozess nachweisen können, blickt er zurück. Dann versiegten die Fördergelder, weil nur noch „vorhandene Technologien“ gefördert werden sollten. Die Anlage wurde verkauft. Nach einem letzten Projekt gemeinsam mit dem Fraunhofer ISE zur Beschichtung von Kontaktfingern ging die Forschung und Entwicklung im PV-Bereich beim Fraunhofer IPA zu Ende. Vor über einem Jahrzehnt kam parallel zum Entwicklungsstopp so auch das Aus für die deutsche Solarindustrie.

Den Ansatz, die Technologie zurück ins Land zu holen, hält Dr. Metzner für richtig, gibt aber auch zu bedenken, dass hierzulande beim Aufbau von Fertigungen mit Chemikalieneinsatz Widerstand von Bürgerinitiativen zu erwarten ist. „Wir wollen keine Atomkraft, aber auch keine Stromtrasse vor der Tür, um den erneuerbaren Strom von Nord nach Süd zu befördern. Das ist so widersprüchlich, dass ich mir schon die Frage stelle, ob sich das industriell bei uns überhaupt durchsetzen lässt“, konkretisiert er seine Zweifel an einem Beispiel.

Es winken Arbeitsplätze, Energieunabhängigkeit und nachhaltige Produktion

Parkplatz mit Solardach. Die Möglichkeiten, Sonnenenergie zu nutzen sind vielfältig (Foto: Adobe Stock)Parkplatz mit Solardach. Die Möglichkeiten, Sonnenenergie zu nutzen sind vielfältig (Foto: Adobe Stock)Fraunhofer ISE-Leiter Prof. Dr. Andreas Bett gibt sich dagegen zuversichtlich: „Wir sind davon überzeugt, dass eine nachhaltige europäische PV-Produktionsindustrie mithilfe staatlicher Unterstützung zur Förderung der Installation und des Betriebs von PV-Produktionsstätten belebt werden kann“, sagt er und freut sich, so die Energieabhängigkeit zu verringern und gleichzeitig wirtschaftliche Wertschöpfung sowie Arbeitsplätze zu schaffen. Und Carsten Rohr, Chief Commercial Officer bei NorSun, ergänzt, dass der Aufbau energieintensiver vorgelagerter Produktionsschritte wie der Ingot- und Waferproduktion auch die Möglichkeit biete, von einer nachhaltigen Produktion zu profitieren, „sowohl im Hinblick auf hohe Umweltstandards – einschließlich eines geringen CO2-Fußabdrucks – als auch auf soziale Standards“.

Eine europäische Solarindustrie nach nachhaltigen Standards hält Metzner durchaus für möglich. Bei Recyclingprozessen könnten sich dem Wissenschaftler zufolge sogar galvanische Fertigungsprozesse neue Perspektiven erschließen. „Ich sehe große Chancen für nasschemische Prozesse in Rückgewinnungsprozessen, im Urban Mining. Wenn wir von der Rohstoffabhängigkeit wegwollen, müssen wir die Stoffkreisläufe schließen“, betont er und stellt fest: „Schließlich herrschen bei allen industriellen Prozessen erhebliche Rohstoffprobleme.“ China habe Vorkommen in Afrika oder Asien gekauft, wenn sie die Rohstoffe nicht selbst hatten.“ Wichtig sei neben einem konsequenten Recycling deshalb auch, eigene Lagerstätten auszuschöpfen. Und hier tun sich ja auch Möglichkeiten auf: Kürzlich war in den Medien von neuen Lagerstätten Seltener Erden in Schweden zu lesen, unter dem Rheingraben lagern zudem große Vorkommen an Lithium. Doch auch hier stellt sich die Frage: Ist der Abbau möglich?

Beste Ausichten für Galvaniken

Dr. Martin Metzner ist Abteilungsleiter für Galvanotechnik am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik  und Automatisierung (IPA) und zugleich erster Vorsitzender  der Deutschen Gesellschaft für Galvano-  und Oberflächen- technik e.V. (DGO).  Der Wissenschaftler und Branchenvertreter gehörte bis zum Aus der deutschen Solar- industrie vor über  10 Jahren zu den Entwicklern von Photovoltaik- Prozesstechnik. (Foto: Robert Piterek)Dr. Martin Metzner ist Abteilungsleiter für Galvanotechnik am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und zugleich erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Galvano- und Oberflächen- technik e.V. (DGO). Der Wissenschaftler und Branchenvertreter gehörte bis zum Aus der deutschen Solar- industrie vor über 10 Jahren zu den Entwicklern von Photovoltaik- Prozesstechnik. (Foto: Robert Piterek)Kommt es zum Aufbau einer europäischen Solarindustrie, sieht Metzner das durchaus optimistisch – auch für die Galvano- und Oberflächentechnik. „PV-Module enthalten viel Oberflächentechnik, bei einigen Komponenten ist auch Galvanotechnik erforderlich, z. B. bei der Kontaktfingerkontaktierung. Mit entsprechender Forschung kann man sogar noch den einen oder anderen nasschemischen Prozess erschließen“, sagt er. Bei einfachen Substraten könnte das HFCVD-Verfahren (Chemische Gasphasenabscheidung) wirtschaftlich sein. Große Stücke hält er aber auf das Rolle-zu-Rolle-Galvanikverfahren, das er sowohl für wirtschaftlich als auch für materialeffizient hält. Möglich sei auch die Etablierung einer Solarindustrie auf dem Stand der Technik. Dem stehe aber der große Marktvorsprung der Chinesen entgegen, wendet er ein. Wenn der Startschuss für eine europäische Solarindustrie kommen sollte, wird das ihm zufolge auch neue Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Galvaniken mit sich bringen. Profitieren könnten alle galvanotechnischen Unternehmen, die sich mit dem Rolle-zu-Rolle-Verfahren beschäftigen. „Das sind bestimmt zehn größere Unternehmen in Deutschland“, schätzt Dr. Metzner.

„Die Renaissance einer produzierenden Industrie für erneuerbare Energien ist strategisch klug und dringend notwendig“, sagt Gunter Erfurt, CEO der Meyer Burger Technology AG, einer der Industrievertreter, die jetzt ihre Stimme erheben. „Zudem ist der Energiesektor von nationalem Sicherheitsinteresse. Die Solarindustrie mit ihren Fertigungsstätten in Europa muss vor dem Hintergrund der anhaltenden multiplen globalen Krisen zu einer politischen Priorität weStarke Worte, die hoffentlich nicht verhallen. Sollte es so kommen, werden Energiewende, Rohstoffunabhängigkeit und voraussichtlich auch eine nachhaltigere Fertigung der Technologie gestärkt, ebenso wie die Unternehmen der Galvano- und Oberflächentechnik. Vielleicht werden dann sogar wieder Förderungssummen an das Fraunhofer IPA fließen – und den Innovationstreibern im Stuttgarter Fraunhofer IPA gemeinsam mit den Fraunhofer Instituten ISE und CSP eine zweite Chance geben, neueste Technik für den Photovoltaik-Ausbau zu entwickeln.

  • Ausgabe: Februar
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Robert Piterek
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