Treibende Kraft für Elektronikfertigung in Europa

Treibende Kraft für Elektronikfertigung in Europa

Leistungshalbleiter spielen eine zentrale Rolle für Entwicklungen bei Mobilität und Energie. Technologietrends der Automobilindustrie und der erneuerbaren Energien geben der Leistungselektronik Wachstums- und Technologieimpulse – und umgekehrt. Dabei zeigt sich, dass immer höhere Leistungsdichte und Integration gefordert sind, andererseits Anforderungen an Zuverlässigkeit und Lebensdauer technische Spielräume einschränken.

So holzschnittartig, wie man es in Titel und kurzem Vorspann nur anreißen kann, lösen die getroffenen Feststellungen bei vielen mehr als nur eine angehobene Augenbraue aus: Leistungshalbleiterei sei eine treibende Kraft der Elektronikfertigung? Da muss man zunächst stutzen, wenn man sich die Verhältnisse einfach mal vor Augen führt: Im Bereich der Elektronikindustrie ist die Sparte Consumer Electronics drauf und dran, in den nächsten 3 bis vier Jahren global die 1.000-Mrd.-Umsatzlinie (in $) zu übersteigen. Die Leistungselektronik bewegt sich aktuell zwischen 30 und 40 Mrd. $ weltweitem Umsatz und wird diese Werte bis 2030 vermutlich verdoppelt haben [1]. Dass man im Falle der Leistungselektronik dennoch nicht von einer Nische sprechen kann, wird deutlich, wenn man dem Birnen/Äpfel-Vergleich noch ein wenig genauer nachgeht: Der Consumer-Bereich ist ein Endprodukte-Markt, während es sich bei der Leistungselektronik größtenteils um einen Bauelemente-Markt handelt. In beinahe jedem Consumer Electronics-Produkt sind Power Devices verbaut – man denke nur mal an die Stromversorgungen.

Power Devices oder Power Module sind zugekauft und ‚eindesigned' – sie sind also Elemente der gesamten Elektronikwertschöpfungskette, haben ihren Einkaufswert und leisten am Ende ihren anteiligen Beitrag zum Erreichen der beispielhaft genannten Umsatz-Billion der Consumer-Electronics. Wie genau dieser Anteil ist, ist Sache derer, die mit dem sprichwörtlichen spitzen Stift rechnen. Gegenüber dieser klassischen Kalkulation mit Bauteilen, die in einem solchen Gefüge auch beständig unter Preisdruck geraten unterscheiden sich die Anforderungen an Leistungselektronik in den beiden Segmenten Automotive und Renewables derzeit noch. Hier geht es nicht um Standardware, sondern um integrierte Lösungen – etwa mithilfe sogenannter Mixed-Signal-Lösungen – und um Technologie-Enabling. Dazu mehr weiter unten.

Power Electronics made in Europe

Zunächst erst ein anderer Punkt, der ebenfalls mindestens zur angehobenen Augenbraue führt, nämlich das Stichwort ‚in Europa' in der Titelzeile. Einerseits – und hier muss man weit ausholen, bis das andererseits kommt - haben die Hersteller von Leistungshalbleitern in der globalen Mikroelektronikindustrie auch aus einem europäischen Blickwinkel einen besonderen Stellenwert. 2020 kamen zwar nur etwa 10 % der weltweit insgesamt gefertigten Mikrochips aus der EU, doch betrachtet man nur die Produktion von Bausteinen der Leistungselektronik, reden Unternehmen aus Europa weltweit ein deutlich wichtigeres Wort mit – in einigen Bereichen sogar führend.

Betrachtet man das einmal näher, zeigt sich allerdings auch ein Pferdefuß der Sache: Zwar sind viele dieser Unternehmen in Europa zu Hause, haben aber sehr große Teile nicht nur ihres Absatzes, sondern auch ihrer Produktion in Asien. Als Beispiel sei hier Infineon genannt, mit 14,2 Mrd. € Umsatz 2022 die Nr. 1 der europäischen Halbleiter-Hersteller: Das Unternehmen war mit einem Marktanteil von 26,4 % auch im ersten Halbjahr 2022 wieder führend im chinesischen Elektromobilitäts-Boom und verkaufte dort 45,8 % mehr Power-Halbleiter als im Vergleichszeitraum 2021. Diese Nachfrage bedient Infineon vor allem aus seinen asiatischen Produktionsstandorten.

Tatsächlich tut sich allerdings auch in Europa einiges in Bezug auf Fertigungskapazitäten – nicht zuletzt angeschoben durch den European Chips Act: Bis 2030 sollen mehr als 15 Mrd. € an zusätzlichen öffentlichen und privaten Investitionen mobilisiert werden und insgesamt mehr als 43 Mrd. € Investitionsmittel in die Halbleiter-Industrie fließen. Damit soll der in der EU gefertigten Anteil an der weltweiten Chipproduktion auf 20 % verdoppelt werden [2]. Mehr Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz bei Halbleitertechnologien und -anwendungen soll zudem dazu beitragen, dass Digitalisierung und Dekarbonisierung Hand in Hand gehen können.

Bei der Leistungselektronik kann man nicht von einer Nische sprechen

Der Branchenverband ‚Silicon Saxony' stellt hierzu fest: „Leistungshalbleiter, die hohe Ströme auch unter schwierigen Bedingungen zuverlässig schalten können, sind bei Energie, Mobilität und vielen Industrieanwendungen wichtig.“ Europa brauche sie, um seine ökonomisch wie ökologisch anspruchsvollen Ziele zu erreichen. An dieser Stelle sei festgehalten, dass nicht allein Europa diese Ziele verfolgt. Weltweit, allen voran aber in China, ist die Umstellung von bisherigen Energiequellen auf elektrischen Strom in immer mehr Anwendungen zu beobachten. Die weltweit zunehmende Elektrifizierung von Mobilität und Anwendungen der Heizungs-Klima-Lüftungstechnik (HKL) treiben den Bedarf an Leistungselektronik an.

Auch beim Aufbau von Fertigungskapazitäten in Europa ist wieder Infineon ganz vorne dabei – mit seiner neuen Fertigung in Villach/Österreich und dem im Herbst 2023 präsentierten Neubauprojekt Dresden, wo ab 2026 Mixed-Signal- und Power-Chips entstehen werden. Bosch, Renesas, und Wolfspeed sind weitere Leistungselektronikhersteller, die aktuell bereits investieren oder in der Planung für neue Fertigungskapazitäten sind. Die unter [1] erwähnte Skyquest-Marktstudie über die Umsatz-Entwicklung der Leistungselektronik im laufenden Jahrzehnt (2024 rund 40 Mrd. $, 2030 rund 80 Mrd. $) kommt vor diesem Hintergrund zur Einschätzung, dass Europa in diesem Bereich der Elektronik somit weitgehend konform mit dem Gesamttrend bzw. mit den anderen Weltregionen wachsen wird (siehe Balkendiagramm).

Der prognostizierte Zuwachs der Leistungselektronik in den einzelnen Weltregionen (blau = Asia/Pacific, rot = North America, orange = Europe, grün = Latin America, violett = Africa/Middle East)Der prognostizierte Zuwachs der Leistungselektronik in den einzelnen Weltregionen (blau = Asia/Pacific, rot = North America, orange = Europe, grün = Latin America, violett = Africa/Middle East)

Gefahren für Standort und Branchen

Womit wir zum andererseits kommen: Während man in Europa aktuell eine gewisse öffentliche Müdigkeit gegenüber dem Thema Elektromobilität beobachten kann, geht dieses Thema in anderen Weltregionen dynamisch und ungebremst weiter nach oben. Die Sorge macht sich bemerkbar, was das für die Zukunft der europäischen Automobilindustrie bedeuten könnte. Insbesondere die deutschen Hersteller tun sich schwer, Produkte zu präsentieren, die in den relevanten Märkten der Welt noch in notwendigen Stückzahlen gewollt werden. Währenddessen wird im eigenen Land die Elektromobilität auf unverantwortliche Weise schlecht geredet – die Argumentationsketten sind unlogisch und von trotzigem Wunschdenken beseelt, wie der Wirtschaftsjournalist Dirk Specht deutlich macht [3].

Zwar macht bereits im konventionellen Pkw die Elektronik am Gesamtwert des Fahrzeugs einen immer höheren Anteil aus – und die Leistungselektronik hat daran wachsenden Anteil. Laut einer aktuellen Roland Berger-Studie beläuft sich der Durchschnittswert des Elektronikanteils am Fahrzeug derzeit auf 3.000 $ und soll 2025 durchschnittlich über 7.000 $ erreichen [4]. Dieser Trend kann allerdings abrupt abreißen, wenn Europa an Entwicklung und Fertigung von Elektromobilität nicht mehr adäquat teilnimmt. Es ist vor allem der Elektrifizierung des Antriebsstrangs geschuldet, dass der Anteil der Leistungselektronik dynamisch wächst und sich der von der Roland-Berger-Studie festgestellte Trend fortsetzt. Doch auch die Logik-Anwendungen entwickeln sich weiter – die Wünsche der E-Autokäufer nach ‚fahrenden Smart-Devices' und der ungebrochene Trend zu mehr Autonomie der Fahrzeuge lässt diesen Elektronikanteil wachsen. Hier vermischen sich beide Trends und führen zu immer mehr Mixed-Signal-Anwendungen.

Mehr Bewusstsein für Leistungselektronik

Gleiches gilt für die Energietechnik: Erzeugung und Verteilung müssen sehr viel stärker als in der Vergangenheit flexibel das Angebot und die Nachfrage auf dem Strommarkt ausregeln. Damit rücken Lastschalter, Regelungsintelligenz und Vernetzung immer näher zusammen. Im Umspannwerk und anderen klassischen Applikationsfeldern der Energietechnik bleiben diese Anwendungen physikalisch dennoch auf Abstand. Doch im Bereich der Unterstationen oder bei Anwendungen in den Haushalten – PV-Umrichter für Hausdach-PV, Balkonkraftwerke, Smart home-Systeme oder HKL samt Wärmepumpe, um einige Beispiele zu nennen – spielt Platz eine ebenso wichtige Rolle wie bei Automotive-Anwendungen. Leistung und Logik rücken auf System- und teils bereits auf Board- und Chip-Ebene immer enger zusammen. Und auch die zunehmende Zahl der Hausgeräte und Elektro-Werkzeuge, die schnurlos betrieben werden, fordern mehr von den Modulen, als man bisher gewohnt war. Durch fortschrittliche Leistungselektronik können etwa 50 % der Energieverluste bei der Umwandlung von Netz- oder Batteriespannungen in die in elektronischen Geräten verwendeten Spannungen eingespart werden, stellt Marktforscher Mordor Intelligence [1] fest. „Doch trotz der enormen Bedeutung der Leistungselektronik muss das Bewusstsein für deren Rolle in der modernen Industriegesellschaft auch in der gut informierten Öffentlichkeit gestärkt werden.“

Technologische Aspekte und Trends

Prof. Dr.-Ing. Nando KaminskiProf. Dr.-Ing. Nando KaminskiAls neuer Werkstoff in der Leistungselektronik etabliert sich nach Galliumnitrid (GaN) zunehmend auch Siliciumkarbid (SiC). SiC-Leistungshalbleiter können den Wirkungsgrad der Energieumwandlung erhöhen, höhere Spannungen und Ströme verkraften und höheren Betriebstemperaturen standhalten als herkömmliche siliziumbasierte Bauteile. Diese sogenannten Wide-Bandgap-Halbleiter bieten den Vorteil geringerer Schaltverluste und ermöglichen so den Betrieb bei höheren Schaltfrequenzen. Zudem können die magnetischen Hilfskomponenten und Filter kleiner ausgelegt werden, was wiederum mit zum Ziel des geringeren Bauraums beiträgt. All diese Faktoren bieten wesentliche Vorteile für Stromversorgungen, Leistungsschalter in Wind- oder Solaranlagen und Umrichter für Elektroantriebe in Mobilität und Industrie. Trotzdem bleibt der Druck auf die Entwickler bestehen. „Die Mission Profiles werden immer anspruchsvoller“, sagt Prof. Dr.-Ing. Nando Kaminski, Leiter des Instituts für elektrische Antriebe, Leistungselektronik und Bauelemente (IALB) der Universität Bremen [7]. Er fasst die Trends bei Aufbau- und Verbindungstechnik zusammen: „Zum einen werden – etwa von Semikron – Chips ohne Träger direkt auf Kühlelemente montiert, zum anderen werden Gehäuse weggelassen und beispielsweise der Flipchip-Approach der Logik-Systeme auch auf die Leistungselektronik übertragen.“ Das bringe große Herausforderungen mit sich, die Robustheit und Zuverlässigkeit der Systeme zu halten oder gar zu verbessern. Leistungselektronik gerate mit diesen Trends immer mehr thermisch an Grenzen, denn wo hohe Ströme fließen, muss die Wärme abgeführt werden. Auch andere elektrophysikalische Aspekte der hohen Ströme wollen beachtet sein. Dabei werden beispielsweise Bonddrähte als Induktivitäten bewusst in Kauf genommen. Sie dienen so zur Dämpfung. „Zuleitungswiderstände und andere sogenannte ‚parasitics' spielen eine immer wichtigere Rolle im System-Design.“ Die genannten Ansätze, Bauraum zu sparen und höhere Leistungsdichte zu erreichen, können manches Problem auch in die Leiterplattenwelt verschieben. Kommt zu geringen Abständen und hohen Spannungen beispielsweise noch Feuchtigkeit und andere raue Bedingungen im Anwendungsumfeld, kann das das frühe Aus der Baugruppen bedeuten. Die Zusammenarbeit entlang der gesamten Kette vom Chip- und Systemdesign bis zur Baugruppen-Ebene wird deshalb immer enger und intensiver.

Laut einer aktuellen Studie beläuft sich der Durchschnittswert des Elektronikanteils am Fahrzeug derzeit auf 3.000 $
und soll 2025 etwa über 7.000 $ erreichen

Fazit über technologische Aspekte hinaus

Leistungselektronik ist eine Schlüsseltechnologie für leistungsfähige Industrieregionen. Hier bestehen derzeit durchaus Risiken, die zunächst gar nichts mit der Technologie zu tun haben. Dekarbonisierung ist global gesetzt, allein wegen der Kosteneffizienz, die jenseits jeder vermuteten oder tatsächlichen ideologischen Motivation mittlerweile ihr großer Treiber geworden ist. Gesellschaften wie Volkswirtschaften, die sich dem verweigern oder sich mit nachweislich deutlich weniger kosten- und energieeffizienten Sonderwegen der Technologieoffenheit allzu sehr beschäftigen, verlieren überlebenswichtige Dynamik.

Kosteneffizienz ist übrigens nicht unbedingt sofort in Ertrag auszurechnen. Man kann da lange darüber schimpfen, dass China durch Preisdumping Märkte kaputt macht oder dass die USA mit CHIPS & Science Act und ähnlichen Gesetzesinitiativen Märkte abschotten oder mit IRA eine riesige Staatsverschuldung aufbauen. Photovoltaik kommt heute und weiterhin in enormen Überkapazitäten aus Asien in die Welt. Und die gesamte Wertschöpfungs- oder Technologiekette der Elektromobilität wurde von China sehr strategisch aufgebaut bzw. besetzt – und es geht dabei nicht um Preisdumping. Man kann es vergleichen mit den Reaktionen auf Google, Amazon oder Tesla. Die lautete anfänglich in Europa, besonders in Deutschland: Was die da Geld verbrennen – das kann doch nicht lange gut gehen. Im nächsten Schritt war dann das Jammern groß, weil diese Unternehmen ganz neue Branchen definierten und diese natürlich seither dominieren. Den US-amerikanischen IRA halten viele Ökonomen für etwas sehr Cleveres: Grob gesagt macht der 1:3-Hebel aus den beanstandeten Staatsschulden ein gewaltiges Investitionsprogramm, an dem die öffentliche Hand nur ein Viertel der Kosten übernimmt um das Land in definierten Zukunftsbranchen zu reindustrialisieren: Ertrag wird irgendwann zwangsläufig zurückfließen – ich verweise nochmals auf die Beispiele Google, Amazon, Tesla usw.

Derweil bremst sich Deutschland in den Stillstand, weil man nicht in der Lage ist, einen Unterschied zwischen Konsumschulden und Infrastrukturinvestitionen mit in die Zukunft gerichteten Ertragsmodellen zu machen [5]. Die Hoffnung bleibt – denn die deutsche Forschungslandschaft und das Bundesministerium für Bildung und Forschung widmen sich unbeeindruckt dem Thema Leistungselektronik in der Elektromobilität [6] – und damit bleibt auch die Chance, dass die Trendprognosen für die Leistungselektronik auch in Europa und in Deutschland so positiv bleiben, wie sie die Marktstudien aktuell zeichnen.

Referenzen

[1] https://de.statista.com/outlook/cmo/consumer-electronics/weltweit;https://www.mordorintelligence.com/de/industry-reports/power-electronics-market; https://www.skyquestt.com/report/power-electronics-market (Abruf: 23.05.2024).
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4isches_Chip-Gesetz (Abruf: 23.05.2024).
[3] https://dirkspecht.de/2024/05/eine-e-auto-kampagne-mehr/ (Abruf: 23.05.2024).
[4] https://www.rolandberger.com/de/Insights/Publications/Das-Auto-wird-zu-einem-Computer-auf-R%C3%A4dern.html
[5] https://dirkspecht.de/2024/04/auf-groesseren-buehnen-sollte-der-deutsche-finanzminister-besser-schweigen/ (Abruf: 23.05.2024).
[6] https://www.elektronikforschung.de/projekte/hiperform (Abruf: 23.05.2024).
[7] https://www.uni-bremen.de/ialb (Abruf: 23.05.2024).

  • Ausgabe: Juni
  • Jahr: 2024
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