Brief aus England

Brief aus England

Nach der Pandemie

Ich schreibe „nach der Pandemie“, aber natürlich ist sie noch lange nicht vorbei. Man hofft, dass es bis Anfang 2021 einen Impfstoff geben wird, und erst dann können wir wirklich über eine Rückkehr zur Normalität nachdenken. Aber es ist schon jetzt klar, dass es in den letzten neun Monaten Veränderungen gegeben hat, von denen viele wahrscheinlich von Dauer sein werden.

Abb. 1: Ein Starship Technolgies-Roboter liefert in Kalifornien frische Lebensmittel an einen KundenAbb. 1: Ein Starship Technolgies-Roboter liefert in Kalifornien frische Lebensmittel an einen KundenSo, z. B., das Einkaufen. Viele Jahre vor der Pandemie ­sahen wir eine langsame, aber stetige Zunahme von Online-Einkäufen. Aber in den letzten neun Monaten gab es eine dramatische Explosion des Online-Shoppings, und die meisten Experten sind der Ansicht, dass es sich hierbei um eine dauerhafte Veränderung handelt. Die Supermärkte haben viele Tausende von Fahrern und anderem Personal eingestellt, um dieser Nachfrage gerecht zu werden. Aber wenn z.B. 40 % von uns jetzt online einkaufen, werden die real existierenden Supermärkte ungefähr diese Anzahl der Kunden verlieren. In diesem Fall wäre die logische Reaktion der Supermärkte, ihre Räumlichkeiten zu verkleinern oder einen Teil der Fläche für eine andere Nutzung umzuwidmen. Viele von uns lieben Aldi und Lidl, die auch in England sehr erfolgreich sind. Aber werden sie ihr Geschäftsmodell angesichts der veränderten Gewohnheiten, die ich oben erwähnt habe, ändern?

Gegenwärtig werden Online-Bestellungen von einem Mann mit einem dieselbetriebenen Lieferwagen ausgeliefert, und das wird sich sicherlich ändern. Langsam aber sicher werden batteriebetriebene Kleintransporter eingeführt, und da alle diese Lieferungen lokal erfolgen, gibt es keine Probleme mit der Reichweite. Aber wie sieht die längerfristige Zukunft aus? Roboter-Lieferfahrzeuge, wie sie von Starship Technologies (www.starship.xyz) und anderen Unternehmen (Abb. 1) angeboten werden, sind in amerikanischen und einigen europäischen Städten bereits gang und gäbe. Früher operierten sie auf relativ verkehrsfreien College- und Universitätsgeländen. Ursprünglich kostete jeder Roboter ca. 5000 Dollar, aber es ist geplant, diese Kosten zu halbieren. Es gab Auseinandersetzungen darüber, ob diese Roboter auf der Straße oder auf dem Fußgängerweg fahren sollten, aber in den meisten Städten wurde dieses Problem jetzt gelöst. In der Vergangenheit schlug Amazon vor, Käufe mit Drohnen auszuliefern, aber davon haben wir in den letzten Monaten nichts mehr gehört. Kurz gesagt dürfte die Zukunft des Einkaufens etwa so aussehen: Für traditionelle Geschäfte, insbesondere für große Kaufhäuser, wird es nicht rosig werden; nicht zuletzt deshalb, weil der Online-Einkauf einfach ein kosteneffizienteres Mittel zur Lieferung von Einkäufen ist. Aber weniger Spaß wird Shopping zukünftig auf jeden Fall machen.

Während der Pandemie arbeiteten Millionen von Menschen von zu Hause aus, und in den meisten Fällen scheint dies kein Problem gewesen zu sein. Die Arbeitnehmer freuten sich darüber, dass ihnen Zeit und Kosten für das Pendeln, ob mit Pkw, Bahn oder Bus, erspart blieben. Videosoftware wie Zoom hat dabei eine Schlüsselrolle gespielt. In England gibt es heute eine heftige Debatte darüber, ob diese Arbeitnehmer in ihre Büros zurückkehren und das Muster aus der Zeit vor der Pandemie wieder aufnehmen oder ob sie weiterhin von zu Hause aus arbeiten sollten. In Kontinentaleuropa soll die große Mehrheit dieser Arbeiterinnen und Arbeiter in das traditionelle Büro zurückgekehrt sein. In England hat dies nur eine Minderheit getan. Einige Arbeitgeber haben schnell erkannt, dass sich durch kleinere Büros, geringere Miete und Heizungskosten Vorteile ergeben könnten. Die britische Regierung ermutigt dagegen die Mitarbeiter, in das Büro zurückzukehren, vor allem, um die innerstädtische Wirtschaft – Sandwich-Bars, Restaurants, chemische Reinigungen, Schuhreparaturwerkstätten usw. – zu unterstützen.

Viele Ökonomen haben dies kritisiert. Wenn die Arbeit von zu Hause aus effizienter und produktiver ist, dann sollte sie ebenso wie das Online-Shopping sicherlich gefördert werden. Andere befürworten einen Mittelweg, bei dem die Mitarbeiter vielleicht ein oder zwei Tage in der Woche ins Büro zu einem sogenannten „Hot Desk“ kommen.

Eine andere Frage, die jetzt gestellt wird: Wenn Heimarbeit sowohl Zeit als auch Geld für die Anreise ins Büro spart, wer sollte davon profitieren – der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer? In einigen Studien wurde vorgeschlagen, dass die Arbeitnehmer kostenlos eine zusätzliche Stunde pro Tag arbeiten. Einige haben vorgeschlagen, dass wenn ein Büroangestellter zu Hause arbeiten kann, z. B. von Planegg aus, anstatt ins Büro in München zu gehen, warum dann nicht ein Angestellter aus Ungarn? Aber der Angestellte in Planegg kann bei Bedarf leicht in die Stadt kommen, was für jemanden in einem anderen Land kaum möglich ist.

Das letzte Beispiel für einen wahrscheinlich dauerhaften Wandel, der durch die Pandemie ausgelöst wurde, möchte ich aus dem medizinischen Bereich anführen. In Arztpraxen ist man schnell dazu übergegangen, Patienten per Telefon oder Zoom zu sehen, statt von Angesicht zu Angesicht. Dies wurde von einigen kritisiert, die argumentieren, dass der Arzt bei „face-to-face“-Terminen etwas beobachten könnte, was bei einer Zoom-Sitzung nicht ersichtlich wäre. Daran mag etwas Wahres sein, aber wie sich das entwickelt, wird dann sicher sein, wenn wir mehr Erfahrungen gesammelt haben.

Fazit: Covid-19 war eine große Tragödie, die enorme Kosten und Verluste mit sich gebracht hat. Aber es hat auch als Katalysator und Beschleuniger gewirkt, um Veränderungen herbeizuführen.

Pandemie oder nicht – Innovation hört nie auf

Abb. 2: Dem 20. Jahrhundert entsprungen: Der neue Geländewagen Ineos Grenadier ist kein „grünes“ ProduktAbb. 2: Dem 20. Jahrhundert entsprungen: Der neue Geländewagen Ineos Grenadier ist kein „grünes“ ProduktDieses Jahr war eine schreckliche Zeit für die Automobilindustrie, mit katastrophal niedrigen Verkaufszahlen. Aber wir haben die Einführung oder Ankündigung einiger interessanter neuer Fahrzeuge erlebt. Vor über einem Jahr wurde angekündigt, dass die Produktion des weltberühmten Land Rover aus nicht ganz eindeutigen Gründen eingestellt wird. Dann kündigte der Multimilliardär Jim Ratcliffe, Leiter von Ineos Chemicals, an, dass er einen Nachfolger, den „Ineos Grenadier“, bauen würde (Abb. 2).

Auf den ersten Blick sieht er fast identisch wie der Land Rover aus. Er wird mit einer Reihe von BMW B57/B58-Motoren angeboten und ein Team von Ingenieuren von Magna Steyr in Graz ist an dem Projekt beteiligt. Obwohl es noch nicht endgültig entschieden ist, wird das neue Fahrzeug, das die gleiche Größe wie der Mercedes G-Wagen hat, höchstwahrscheinlich in Hambach im Elsass gebaut werden. Es ist ein mutiges Experiment, eine völlig neue Autofirma zu gründen und ein Fahrzeug anzubieten, von dem einige sagen würden, dass es ein Relikt des 20. Jahrhundert ist. Der „Grenadier“ ist sicherlich nicht „grün“, es sei denn, er verwendet Biodiesel. Aber bis jetzt ist nicht klar, wie weit dieser Kraftstoff weltweit verfügbar sein wird.

Und aus Frankreich: Ein weiterer unorthodoxer Pkw

Die Franzosen haben eine Tradition im Bau revolutionärer und unorthodoxer Fahrzeuge. Denken Sie an den berühmten Citroën „Traction Avant“ aus den 1930er Jahren, den DS 19 oder den Deux Chevaux. Um den neuesten Citroën „Cube Car“ zu fahren, muss man nur älter als 13 Jahre sein, ein Führerschein ist optional. Mit dem „Ami“, einem würfelförmigen Elektroauto, das nur ca. 5600 Euro kostet (Abb. 3), zielt Citroën auf einen ganz spezifischen Markt, nämlich den Markt der innerstädtischen Mobilität. Das batteriebetriebene Fahrzeug bietet Platz für zwei Personen und hat eine Reichweite von 75 km. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 45 km/h. Es wird als „leichtes Vierrad“ klassifiziert, vergleichbar einem Leichtkraftrad (Moped). Der „Ami“ sieht von vorne oder hinten fast gleich aus und es gibt Pläne, ihn in verschiedenen Kauf- und Mietoptionen, einschl. Tagesmiete, anzubieten.

Abb. 3: Citroëns neuer Freund, der „Ami“Abb. 3: Citroëns neuer Freund, der „Ami“

Ein elektrischer Lkw

Abb. 4: Der neue elektrische Lkw „Zero“ von Volta Abb. 4: Der neue elektrische Lkw „Zero“ von Volta Wir wissen, dass Tesla mit der Produktion eines 40 Tonnen schweren, batteriebetriebenen Lkw mit einer Reichweite von 1000 km begonnen hat. Jetzt bringt Schwedens Volta Trucks das weltweit erste speziell gebaute elektrische 16-Tonnen-Nutzfahrzeug auf den Markt, und Analysten erwarten, dass es auf dem Markt gut angenommen wird. Der Volta Zero wird noch in diesem Jahr auf den Markt kommen, in der ersten Hälfte des Jahres 2021 bei Logistikunternehmen erprobt werden und soll schließlich 2022 in Produktion gehen. Volta Trucks, ein Start-up-Unternehmen, das den größten Teil seiner Geschäfte in Großbritannien abwickelt, rechnet damit, im Jahr 2022 500 Zeros zu verkaufen und bereits 2025 dann auf eine Stückzahl von 5000 verkauften Exemplaren zu kommen. Der Zero (Abb. 4) hat eine Reichweite von 150 bis 200 Kilometern.

Der Fahrer eines Volta Zero sitzt in einer zentralen Fahrposition, mit einer viel niedrigeren Sitzhöhe als bei einem herkömmlichen Lkw. Diese Kombination sowie eine Kabine im Glashaus-Stil bieten dem Fahrer eine 220-Grad-Sicht, wodurch gefährliche tote Winkel minimiert werden. Der Zero wird eine 160 bis 200 kWh-Batterie mit Lithium-Eisenphosphat verwenden. Auf den ersten Blick erscheint die Reichweite im Vergleich zu elektrischen Pkw eher bescheiden, aber die Philosophie des Naben- und Radantriebs bedeutet, dass er perfekt für die von Volta angestrebte Rolle geeignet ist. Elektro-Lkw wie dieser werden Güter von riesigen, zentralisierten Lagern übernehmen, auf festgelegten Routen in die Städte liefern und zur selben Ladestation zurückkehren. DAF ist ebenfalls dabei, einen Lkw, den CF Electric mit einer Reichweite von 500 km pro Tag (einschließlich einer kleineren Aufladung), auf den Markt zu bringen.

Langfristig wird vorhergesagt, dass diese größeren Elektrofahrzeuge zu gegebener Zeit mit Brennstoffzellen anstelle von Batterien ausgestattet werden. Aber wir haben jetzt eine komplette Palette von Elektrofahrzeugen, vom kleinen Citroën „Ami“ über Pkw, kleinere Lieferwagen bis hin zu mittleren und schweren Lkw. Die Zukunft scheint klar.

Innovation im Luftraum

Abb. 5: Der Projektilrumpf der Celera 500 minimiert den Luftwiderstand durch Förderung der laminaren StrömungAbb. 5: Der Projektilrumpf der Celera 500 minimiert den Luftwiderstand durch Förderung der laminaren StrömungEine US-Firma hat ein futuristisches Flugzeug vorgestellt. Die projektilförmige Celera 500 (Abb. 5) wurde ein Jahrzehnt lang im Geheimen entwickelt und hat die Welt der Luftfahrt fasziniert, seit sie 2017 in Victorville in der Mojave-Hochwüste gesichtet wurde. Otto Aviation meint, die Celera sei das treibstoffeffizienteste, kommerziell rentabelste Flugzeug, das es gibt. Ein 12-Zylinder-Dieselmotor, der einen Schub-Propeller am Heck dreht, verleiht dem Flugzeug ca. 700 km/h Geschwindigkeit. Die Betriebskosten von 280 Euro/Stunde liegen sechsmal niedriger als bei Geschäftsflugzeugen ähnlicher Größe. Der Treibstoffverbrauch von ca. 10 L/km beträgt ein Achtel des Verbrauchs eines kleinen Jets. Die Geschossform des sechs Passagiere fassenden Starrflüglers begünstigt eine laminare Strömung, d. h. die entgegenkommende Luft strömt gleichmäßig um den Rumpf und die Flügel herum, ohne die Turbulenzen, die bei konventionelleren Flugzeugen einen Luftwiderstand verursachen. Unternehmensgründer Bill Otto will die Celera 2023 in Dienst stellen. Sie könnte als Langstrecken-Lufttaxi für Familien oder kleine Gruppen dienen, mit Sitzplätzen, die pro Person nicht mehr kosten als ein kommerzieller Flug. Im Gegensatz zu den langsamen Kurzstrecken-Lufttaxis im Drohnen-Stil, die derzeit entwickelt werden, wird die Celera eine relativ große Reichweite haben und in der Lage sein, überall in Amerika nonstop zu fliegen. Während andere Flugzeughersteller den Bau von Elektro- oder Hybridflugzeugen favorisieren, setzt die Celera auf die Verbrennertechnologie. Ihr in Deutschland hergestelltes Red Aircraft A03-Triebwerk kann Kerosin oder Biodiesel verbrennen und leistet mehr als 550 PS. Das Unternehmen plant ein zweites Modell, doppelt so groß wie die 500, das einen Hybrid-Elektro- und Verbrennungsmotor verwenden könnte.

Anschrift des Verfassers

Dr. Anselm T. Kuhn, c/o Metal Finishing Service Ltd., 105 Whitney Drive, Stevange, Herts,
SG14BL/England; Fax: +44/1438-906306,
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Anmerkung der Redaktion: Die im „Brief aus England“ abgedruckten politischen Inhalte müssen nicht der Auffassung von Verlag und Redaktion entsprechen, sondern sind die persönliche Meinung des Verfassers.

  • Autoren: Dr. Anselm T. Kuhn
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