Nachhaltigkeit und Energieeffizienz mit smarter Elektronik – Ist grüne Leiterplattentechnik überhaupt möglich?

Nachhaltigkeit und Energieeffizienz mit smarter Elektronik – Ist grüne Leiterplattentechnik überhaupt möglich?

Mit diesem Thema haben die Organisatoren der 12. GMM/DVS-Tagung Elektronische Baugruppen und Leiterplatten ‚EBL 2024' wieder ins Schwarze getroffen. Denn auf diesem Gebiet ist derzeit Vieles in Diskussion und praxisgerechte Lösungen sind gefragt und in Entwicklung. Auch Künstliche Intelligenz (KI) war ein Thema.

Entsprechend konnten die beiden Veranstalter die VDE/VDI-Gesellschaft Mikroelektronik, Mikrosystem- und Feinwerktechnik (GMM) und der DVS, Deutscher Verband für Schweißen und verwandte Verfahren, e. V. zahlreiche Teilnehmer in der Schwabenlandhalle in Fellbach begrüßen. Wie schon bei den früheren EBL-Veranstaltungen wurden Vorträge im Plenum und parallele Vortragssitzungen zu speziellen Themen geboten, insgesamt über 50 Beiträge. Zudem gab es eine Preisverleihung und eine Tabletop-Ausstellung sowie ein Get-Together.

Impressionen von der Ausstellung

Impressionen von der Ausstellung

Eröffnet wurde die EBL 2024 von Bernd Enser, dem Vorsitzenden der Wissenschaftlichen Programmkommission, und Prof. Dr. Mathias Nowottnick, Universität Rostock, dem Wissenschaftlichen Tagungsleiter.

Als Einleitung ging Bernd Enser auf das Konferenzthema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz mit smarter Elektronik ein. Er sagte dazu, dass KI hier mehr Chancen als Risiken bietet und es gelte, die KI sicher zu nutzen. Denn Nachhaltigkeit fordert Energieeffizienz über einen längeren Zeitraum und Energieeffizienz bietet einen Nutzen. Es kommt auf den Blickwinkel und das richtige Maß der einzelnen Komponenten an. Es ist möglich, das eine zu wollen ohne das andere aufzugeben.

Zur aktuellen wirtschaftlichen Situation nannte Prof. Dr. Mathias Nowottnick als Beispiel die Auswirkungen der schwächelnden Automobilindustrie auf die Elektronikbranche. Stark ist dagegen nach wie vor die Nachfrage nach Elektroniken seitens der Medizin- sowie der Militärtechnik. Das Umfeld hat Auswirkungen auf die Trends und stellt neue Herausforderungen für die Elektronikbranche. Dazu zählen u. a. Fachkräftemangel, Lieferkettenprobleme, Recht auf Reparatur, Additive Fertigung, Höchstfrequenzanwendungen und All-in-One-Packaging. Die Titel der Vortragssitzungen der EBL 2024 spiegeln dieses wider. Prof. Dr. Mathias Nowottnick dankte danach den Teilnehmern, Vortragenden, Ausstellern und Unterstützern der Veranstaltung sowie der Programmkommission und den Organisatoren.

Prof. Dr. Mathias Nowottnick bei der Einleitung

Dr. Nils NissenDr. Nils Nissen

Prof. Dr. Clemens CapProf. Dr. Clemens Cap

Prof. Dr. Martin Schneider-Ramelow moderierte diese SitzungProf. Dr. Martin Schneider-Ramelow moderierte diese Sitzung

Keynote-Session zu Grüner Elektronik, IoT-Sicherheit und KI

Über den Status und Potentiale für grüne Elektronik in Deutschland informierte Dr. Nils Nissen, Fraunhofer IZM, Berlin. Umwelt- und politische Krisen kennzeichnen die allgemeine Situation. Im Jahr 2023 sowie im Januar 2024 wurden weltweit Rekordtemperaturen verzeichnet. Mit CO2-Neutralität soll der Klimawandel begrenzt werden. Dazu kommen viele weitere Umweltschutzanforderungen wie z. B. das geplante PFAS-Verbot sowie die Forderung zur Information über umweltrelevante Daten. Dr. Nils Nissen sagte, dass es keine grüne, d. h. umweltneutrale Leiterplatten gäbe. Zudem ist deren Recycling ein Problem und deren Herstellungsaufwand hoch.

Dr. Michael Tagscherer, CTO Giesecke & Devrient, beschrieb in seiner ‚From Banknotepaper to IoT – Security-Tech is the key'-titulierten Keynote ausgehend von der Entwicklung der Sicherheitsmerkmale von Banknoten (vom Wasserzeichen bis hin zu Hologrammen usw.), wie im digitalen Zeitalter Objekte gegen Fälschungen und Missbrauch geschützt werden können. Lösungen sind u. a. steckbare SIM, eSIM und iSIM und die dazugehörigen eingebetteten Betriebssysteme sowie Identitätsmanagement mit Verifizierung im physischen und digitalen Raum.

Die Frage: ‚Wann ist die Nutzung texterzeugender KI eine intelligente Entscheidung?' beantwortete Prof. Dr. Clemens Cap, Institut für Informatik, Universität Rostock, ausgehend von den Grundlagen, wie KI funktioniert, mit einer Aufzählung von Beispielen, was KI leisten kann und was dabei problematisch ist, so dass unsinnige bzw. fehlerhafte Texte resultieren können. So konnte KI erst rechnen, nachdem sie um ein entsprechendes Tool erweitert war. Was die KI als Text ausgibt, hängt von dem ab, was sie zuvor gelernt bzw. gemacht hat, so dass das Ergebnis zu einem späteren Termin nicht reproduzierbar ist. Denn KI lässt sich durch Eingabe von (falschen) Informationen leicht verwirren bzw. manipulieren. Trotzdem ist die texterzeugende KI bereits im Einsatz. Man sollte sie allerdings nur für das einsetzen, was gut funktioniert, wie z. B. die Suche nach Text, dann kann man viel Zeit einsparen.

Sitzung Nachwuchspreis mit vier nominierten Beiträgen und Preisverleihung

Wie die Optimierung der Prozessparameter beim Selektivwellenlöten mit Hilfe von Offline Reinforcement Learning (RL) auf Basis vorhandener Daten erfolgen kann, beschrieb Ben Rachinger, Friedrich-Alexander-Universität, Nürnberg. Dabei werden neben Gerberdaten der Leiterplatte Bauteildaten und initiale Prozessparameter verwendet. RL ermöglicht eine Modellierung und gleichzeitig die Optimierung und die Implementierung der RL-Pipeline zur automatischen Datenvorbereitung und Transformation wurden erläutert. Über eine grafische Benutzeroberfläche kann eine Interaktion zwischen dem RL-Modell und dem Prozessexperten zur schrittweisen weiteren Optimierung erfolgen. Eine Validierung mittels Lötversuchen zeigte, dass mit den RL-empfohlenen Parametern bereits zu Beginn 75 % der resultierenden Lötverbindungen der Klasse 3 nach IPC-A-610 entsprachen.

Ulrike Passlack, Institut für Mikroelektronik Stuttgart IMS CHIPS, Stuttgart, informierte über flexible hybride Systeme – innovative Technologien zur Herstellung von ultradünnen polymerbasierten Sensorsystemen für Medizinanwendungen. Am IMS CHIPS werden seit einigen Jahren hybride Systeme-in-Folie (HySiF) entwickelt und hergestellt. Dabei werden ultradünne, Siliciumchips mittels Chip-Film Patch (CFP) Technologie in Polymerfolie eingebettet und mit Sensoren auf Folienebene verdrahtet. Bei der neuesten Generation werden die auf 30μm gedünnten Siliciumchips Face-down mit Nanodrähten auf eine vorprozessierte 16μm dicke Polymerfolie gebondet. Dadurch entfallen topographische Herausforderungen und das nachträgliche Öffnen der elektrischen Verbindungen. Der neue Prozess wurde beschrieben. Vorteile der Kombination der CFP-Technologie mit den innovativen Verfahren NanoWiring, KlettWelding und KlettSintering sind, dass höhere Verdrahtungsdichten und kleinere Padgrößen realisiert werden können.

Ben RachingerBen Rachinger

Ulrike PasslackUlrike Passlack

Lisa Christin StencelLisa Christin Stencel

Den Best Paper EBL 2024 erhielt Tobias Hehn, Universität der Bundeswehr München, für seinen Beitrag über die numerische Simulation eines additiven Fertigungsprozesses für impedanzoptimierte ElektronikDen Best Paper EBL 2024 erhielt Tobias Hehn, Universität der Bundeswehr München, für seinen Beitrag über die numerische Simulation eines additiven Fertigungsprozesses für impedanzoptimierte Elektronik

Methodische Betrachtungen zur Charakterisierung und Verifikation eines viskoelastischen Modells für Underfill-Materialien präsentierte Lisa Christin Stencel, Siemens AG T ICE ELM-DE, Berlin. Das Vorgehen für viskoelastische Charakterisierungen wurde am Beispiel eines Underfillers erläutert. Grundlage ist die Bestimmung der Glasübergangstemperatur TG mittels DMA. Die Probenerstellung für das DMTA-Messverfahren und dieses einschließlich der Approximation durch eine Prony-Serie sowie die Verifikation in Simcenter Nastran wurden beschrieben. Die drei Modellierungen rein linear elastisches Materialverhalten, Relaxationsverhalten des Schubmoduls bei zeitlich konstanter Poissonzahl sowie die vollständige Beschreibung viskoelastischen Verhaltens durch temperatur- und zeitabhängige Relaxationsmodule für Schub und Kompression wurden durch Temperaturzyklen miteinander verglichen und so der Vorteil einer vollständigen Charakterisierung verdeutlicht.

Über die Herstellung und Integration von sensorischen Elementen zur Temperaturmessung in die Leiterplatte informierte Tobias Heise, Universität Rostock. Ziel ist eine im Multilayer-Aufbau integrierte Temperaturmessung. Damit könnte auch während des Betriebs der Baugruppe eine thermische Überwachung erfolgen. Als Sensoren wurden Thermoelemente realisiert. Deren Messtoleranzen liegen mitunter ±1K in einem Bereich wie bei kommerziellen Thermoelementen. Die Anforderungen an den Temperatursensor (Temperaturen von -40°C bis 250°C) und die Realisierung des Multilayer-Aufbaus mit zwei Varianten für die Kontaktierung der Konstantanfolie auf einem Kern sowie die damit erhaltenen Ergebnisse der Temperaturmessungen und Analysen wurden erläutert. Beide Aufbauvarianten überstehen mindestens sechs Lötprozesse sowie 1500 Temperaturzyklen zwischen -40°C und +125°C. Vorteile des Laseraufbaus sind, dass die Kontaktstelle und das Thermoelement äußerst gezielt und reproduzierbar gefertigt werden können und dass große Teile der Fertigung der Standardleiterplattentechnik entsprechen.

Direkt im Anschluss an die Sitzung Nachwuchspreis erfolgte die Verleihung des Preises ‚Best Paper EBL 2024' und des EBL-Preises für Nachwuchsforscher 2024.

Der EBL-Preis für Nachwuchsforscher 2024 ging an Ulrike Passlack für ihren Beitrag über flexible hybride Systeme – innovative Technologien zur Herstellung von ultradünnen polymerbasierten Sensorsystemen für MedizinanwendungenDer EBL-Preis für Nachwuchsforscher 2024 ging an Ulrike Passlack für ihren Beitrag über flexible hybride Systeme – innovative Technologien zur Herstellung von ultradünnen polymerbasierten Sensorsystemen für Medizinanwendungen

Auch die anderen, hier nicht erwähnten Beiträge der anderen Sitzungen boten viel Neues, so dass es sich lohnt deren Inhalte kennen zu lernen. Alle Beiträge finden sich im Tagungsband zur EBL2024, dem GMM-Fachbericht 107. Dieser ist vom VDE Verlag in verschiedenen Formaten erhältlich (ISBN 978-3-8007-6265-1 als CD-ROM, ISBN 978-3-8007-6266-8 als E-Book, ISSN 1432-3419).

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